Das Mysterium der Zeit
größten Überraschung folgte nicht der übliche Aufruhr und eine Unterbrechung des Marsches, sondern tiefste Grabesstille.
Die Gruppe verteilte sich wieder ordentlich, und plötzlich bildeten sich zwei fast parallele Reihen – erstaunlich bei einer abenteuerlich zusammengewürfelten Truppe von Schiffsbrüchigen. Hinten marschierten Malagigi und dein falscher Barbello, Hardouin ging ihnen voran.
Unser Ziel war die Piana dei Morti. Ich überlegte, dass Naudé vor unserem Aufbruch gewiss einen Blick auf seine Karte geworfen hatte. In welche Ecke der Insel würde man uns führen? Sehr wahrscheinlich dorthin, wo das Kreuz eingezeichnet war.
Nur Schoppe, dem nichts oder fast nichts die Sprache verschlug, wagte einen leisen Kommentar:
»Unglaublich. Überall taucht dieser Betrüger Scaliger auf.«
»Hör doch auf, Caspar«, ermahnte ihn Naudé, ebenfalls flüsternd.
DIALOG
Oder besser ein interessantes Streitgespräch über den berühmten Galileo Galilei.
Schweigend musterten die drei Bärtigen unsere Schar, vielleicht warteten sie auf eine Reaktion. Doch niemand wagte zu sprechen. Es war, als wartete jeder darauf, dass der anderer zuerst den Mund aufmachte. Gewiss dachten alle: Wenn einer der drei Insulaner wirklich Philos Ptetès ist und ich jetzt irgendeine Dummheit sage, wird er mich dann noch für würdig erachten, seinen Schatz zu bekommen?
Auch ich musterte die Bärtigen: Wenn einer von ihnen der slawonische Mönch war, wusste er sein Geheimnis perfekt hinter dem leeren und leicht schwachsinnigen Blick, der den drei wunderlichen Individuen gemeinsam war, zu verbergen.
|421| Schließlich wagte Caspar Schoppe das Schweigen zu brechen:
»Ich habe immer geahnt, dass dein Freund keine Biographie wünscht«, sagte er zu Naudé.
»Warum nennst du ihn meinen Freund?«
»Nachdem du Campanella fallengelassen hattest, hast du dich bei Galileo eingeschmeichelt, schließlich hast du in Padua studiert, als er dort lehrte. Berühmtheiten haben dich schon immer angezogen«, bemerkte Schoppe mit einem Seitenblick auf die Reaktion der Bärtigen.
»Lieber Caspar, wie Plinius sagte, als er mit dem Kaiser Trajan sprach: ›Der aufrichtigste Mann ist der meines Vertrauens würdigste Mann.‹ Außerdem hast du dergleichen niedrige Unterstellungen bereits bei Tisch gemacht. Und ich habe dir bereits geantwortet, dass auch du Galileo kanntest. Also ziehen auch dich berühmte Menschen an. Du hast dich für Galileo eingesetzt, hast Papst Urban VIII. Gutes über ihn berichtet. Du hast tausend Eide geschworen, dass seine Theorien nicht im Widerspruch zur Heiligen Schrift stehen, und eine Zeitlang konntest du ihn schützen, oder irre ich mich?«
»Zuerst einmal stammt der Satz nicht von Plinius, sondern von Tacitus, aber diesmal vergebe ich dir, weil du ihn nur wie ein Papagei als Zitat bei Justus Lipsius nachgeplappert hast, und leugne nicht …«, kam ihm Schoppe zuvor, da Naudé bereits empört auffahren wollte, »dass ich dich erwischt habe, denn auch ich habe die
Politicorum sive Civilis Doctrinae Libri
von Lipsius gelesen, welcher denselben Fehler macht wie du. Abgesehen davon gestehe ich, dass es zutrifft, was du sagst. Aber dann habe ich die Wahrheit entdeckt.«
»Die Wahrheit kenne ich auch«, erwiderte Naudé. »Galileo war nicht nur eine Berühmtheit, wie du ihn nennst, sondern ein Genie.«
Angestachelt vielleicht durch die Möglichkeit, vor dem geheimnisvollen Philos Ptetès endlich eine gute Figur abzugeben, da die drei Bärtigen jetzt nicht schliefen, sondern dem Gespräch aufmerksam zuhörten, begann Gabriel Naudé seine Ausführungen mit Dingen, die jedes Kind weiß, nämlich, dass Galileo als Erster das Fernrohr, bis dahin ein Instrument für Seefahrer, in den Himmel gerichtet und die Theorie des Kopernikus bestätigt hatte, nach der die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt.
»Und da begannen seine Probleme …«, sagte er mit einem vielsagenden Blick auf die drei.
»… mit der Kirche«, ergänzte Guyetus ernst, der nicht hintanstehen |422| wollte, wenn es darum ging, den vermeintlichen Philos Ptetès zu beeindrucken.
Der bärtige Besitzer des Papiers fragte neugierig: »Erzählt: welche Probleme?«
Galileos Geschichte war überall so sattsam bekannt, dass diese naive Frage ganz nach einer Falle aussah. Naudé verstummte augenblicklich und beäugte sein Gegenüber misstrauisch. Dann fuhr er vorsichtig fort:
»In der Bibel befahl der Prophet Joshua: ›Sonne, steh still!‹ Also muss die Sonne
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