Das Mysterium der Zeit
nachdem du ihn in Mailand, wohin du fliehen musstest, gefordert hast. Ein Religionskrieg wie er im Buche steht, der noch immer andauert und bald dreißig Jahre alt wird. Du hast erkannt, |446| dass du zu weit gegangen warst und bist Deutschland zwölf Jahre ferngeblieben, immer auf der Suche nach irgendeinem Fürsten, der dich aushielt. Schade nur, dass du so vielen von diesen Herren deine Feder geliehen hast, dass dich am Ende niemand mehr ernst nehmen konnte!«
»Dass ich den Krieg heraufbeschworen haben soll, ist die Verleumdung, die mich am meisten entsetzt«, sagte der Verehrungswürdige, »wenn sie nicht schlichtweg lächerlich wäre. Ich habe in einigen meiner Bücher lediglich daran erinnert, dass die Bibel in Sachen Ketzerei eine klare Sprache spricht …«
»Darin hat unser Caspar völlig recht«, unterbrach ihn Guyetus, »er hat nichts anderes getan, als das Alte Testament zu zitieren. Salomon sagt, man müsse den Ketzern den Rücken mit der Rute streicheln und ihnen hundert Wunden zufügen, sie quälen, schinden, zu Tode erschrecken. Schimpf und Schande, Anklagen, die Todesstrafe – nichts darf ihnen erspart bleiben! Moses hasste die Abtrünnigen so sehr, dass er zu den Söhnen Levis sagte: Jeder von euch greife zum Schwert und töte den Bruder, den Freund und den Nachbarn. Elias, ein sanftmütiger, barmherziger Mann, ließ achthundertfünfzig Baalspriester abschlachten. David, Inbegriff der Milde, den es anwiderte, mit Verschwörern zu tun zu haben und ihr Blut vergießen zu müssen, rief eines Tages: ›Gott, ich habe die Schönheit deines Hauses und den Ort deiner Herrlichkeit geliebt. Herr, ich habe die Versammlung der Sünder gehasst und werde nicht bei den Frevlern Platz nehmen. Ich habe hundert gehasst, die ihr Amt missbrauchten, und sie alle getötet.‹ Wenn dies die Bibel des Gottes Israels ist, was erwarten wir dann von dem, der an sie glaubt?«
»Wenn du ein aufrechter Christ wärst, Caspar, hättest du deine Feinde lieben müssen, wie das Evangelium predigt«, tönte Naudé. »Stattdessen hast du, um dir zum aberhundertsten Mal das traurigste Beispiel von allen zu nennen, den großen Scaliger so beleidigt und verächtlich gemacht, dass er vor Kummer gestorben ist. Und das nur, um dir Ruhm zu verschaffen.«
»Und ich sage dir zum aberhundertsten Mal, dass es keine Verleumdungen waren, mein Lieber. Joseph Justus Scaliger war ein großer Betrüger. Er gab sich als Nachfahre von Cangrande della Scala aus, in Wirklichkeit aber lautete sein Nachname Bordone. Und was den Ruhm betrifft, muss ich dir ebenfalls zum aberhundertsten Mal sagen, |447| dass du mich nicht mit diesem Räuber, deinem Freund Galileo, verwechseln darfst: Der hat wirklich alles getan, um die Rolle des Opfers zu spielen und endlich seine Büchlein unter die Leute zu bringen, nachdem sie jahrzehntelang nur von Mäusen zum Nestbau geschätzt wurden.«
»Was ist, gehen wir weiter oder wollt ihr hier über eurem Salbadern verfaulen?«
DISKURS LXIV
Darin sich ein neuer Streit entspinnt, der unvorhergesehene Folgen hat.
Die Frage, unangenehm im Ton wie im Inhalt, war von Kemal gekommen. Der Statthalter von Ali Ferrarese drängte zum Weitermarsch.
»Wir verlieren keine Zeit mit Salbadern, sondern mit gepflegten Gesprächen unter Ehrenmännern. Natürlich ist das nichts für ungehobelte Menschen, die ihnen nicht folgen können«, antwortete ich recht schroff.
Die Anspielung auf seine Unbildung schien dem Korsar gar nicht zu behagen. »Ich kann viele Dinge verstehen, wenn sie mich interessieren. Aber ich muss in Gesellschaft von Männern sein, nicht von Kapaunen«, entgegnete er, ausgerechnet dich verhöhnend, junger Atto, der du soeben hinzugekommen warst und nichts von dem Wortwechsel mitbekommen hattest.
»Was fällt dir ein? Lass Signorino Atto in Ruhe«, rief ich, der ich wohl oder übel verpflichtet war, einen jungen Schützling zu verteidigen. »Und wasch dir den Mund, bevor du seinen Namen aussprichst.«
»Das werde ich tun, wenn er sich den Arsch wäscht, bevor er etwas anderes hineinlässt«, sagte er, während er mir starr in die Augen blickte und auf meine Reaktion wartete.
»Bastard. Hungerleider. Und Mörder.«
Darauf versetzte mir der Korsar eine gewaltige Ohrfeige, die mich von Kopf bis Fuß erschütterte. Vor Überraschung konnte ich weder mit dem Mund noch mit den Händen antworten.
»Danke dem Himmel, dass du nicht vor Ali Rais stehst, der dich schon in eine Kanone gestopft und die Lunte angezündet
Weitere Kostenlose Bücher