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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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wirklichen Bewegungen der Planeten sind unerkennbar und jede auf ihnen aufbauende Theorie daher reine Manipulation.«
    »Wenn ich Euch so höre, scheint Ihr die Ideen von Papst Urban VIII. zu teilen. Da fällt mir ein: Warum habt Ihr Eurem Freund Guyetus gesagt, dass Galileo der wahre Dogmatiker war, nicht der Barberini-Papst? Meintet Ihr jene Ideen von Urban VIII., von denen Schoppe sprach? Mir erschienen sie auf den ersten Blick wie ziemlich billige Theologie für alte Marktweiber …«
    »Diese Ideen,
mon ami
, sind der Schlüssel, um die Zeit zu lesen. Wenn Ihr sie billige Theologie nennen wollt …« Hardouin lächelte ironisch. »Die Beziehung des Menschen zur Bewegung der Himmelskörper zu verändern bedeutet dagegen, wie ich schon sagte, die Zeit in der Hand zu haben.«
    »Was sollte man damit wollen?«
    »Zum Beispiel die Vergangenheit nach Belieben verlängern. Bouchard studierte Historiker des entferntesten Altertums. Für ihn muss die Zeit daher eine Hauptsorge gewesen sein, meint Ihr nicht? Darum und nur darum, glaube ich, wollte er wissen, was sich hinter Galileos Theorie verbarg. Darum steht in seinen Aufzeichnungen der Name Scaliger neben dem Galileos.«
    |477| Nun beeilte sich Hardouin, mich über Joseph Justus Scaliger zu informieren, wodurch er ergänzte, was du und ich schon von Guyetus und Naudé gehört hatten.

NOTIZ
    Über Joseph Justus Scaliger.
    Joseph Justus Scaliger, erklärte Hardouin, war Astronom und Historiker, und vor einem halben Jahrhundert hatte er eine Allgemeine Chronologie verfasst, ein grandioses Werk, das die Geschichte der Griechen, Römer, Ägypter, Juden und Babylonier, kurz, aller Völker zusammenfasste, obwohl sie ihre Zeit seit jeher unterschiedlich gemessen hatten. Die Griechen hatten die Olympiaden gezählt, die Römer ihre Kaiser und Konsuln, die Ägypter ihre unendlichen langen Dynastien, die Juden ihre Unglücke und so weiter. Doch vor Scaliger war immer ein Chaos entstanden, wenn man diese Ereignisse aufeinander abstimmen wollte. Wie groß war der Unterschied zwischen dem römischen und dem griechischen Monat? Wann hatte die erste Olympiade nach chaldäischer Zeitrechnung stattgefunden? Wann waren die Juden nach Sicht der Ägypter durch die Wüste gezogen? Jahrhundertelang hätte sich niemand zu träumen gewagt, diese Fragen beantworten zu können. Die Geschichten der Völker liefen parallel nebeneinander her, wie Reisende, die in einer engen Kutsche zusammensitzen, aber nie ein Wort wechseln. War es überhaupt möglich, eine Zeittafel aufzustellen, die die Scherben der Vergangenheit zu einem einzigen Bild zusammenfügte? Dafür brauchte man die Astronomie, denn wenn man wusste, welche Sonnenfinsternisse sich im Laufe der Jahrhunderte ereignet hatten, konnte man sie in den parallelen Geschichtsläufen aufspüren und aufeinander abstimmen, wodurch man sehr wichtige Bezugspunkte erhielt. Wer dieses kolossale Unterfangen der Geduld und Gelehrsamkeit meisterte, würde sich einen Platz im Olymp der Wissenschaft erwerben. Scaliger war es gelungen. In seinen monumentalen Werken, der
Emendatio Temporum
und dem
Thesaurus Temporum
hatte er aus den Chroniken die Allgemeine Chronologie und aus den Epochen die Einzige Zeit |478| herausgearbeitet. Mit Hilfe riesiger synoptischer Tafeln hatte er endlich festlegen können, in welchem Jahr der christlichen Zeitrechnung sämtliche Ereignisse der Vergangenheit stattgefunden hatten. Ein unermesslich großer Fortschritt für die historische Forschung, Archäologie, Literatur, Numismatik, Architektur und andere Wissenschaften. Jedes bekannte Ereignis war nun in ein allgemeinverständliches Raster aus Jahren und Monaten gezwängt. Zu Recht wurde Scaliger der Phönix Europas, Licht der Welt, Unendlicher Ozean der Gelehrsamkeit, allwissend, unermüdlich, Wunder der Natur und Sieger über die Zeit genannt, und manche zögerten nicht, ihn wegen seiner Bedeutung und glorreichen Errungenschaften mit dem größten Philosophen, Aristoteles von Stagira, dem »Meister der Wissenden« zu vergleichen.

    Doch ein Schatten lag auf der Arbeit Scaligers. Wo ihm sichere astronomische Daten fehlten, hatte er keine Lücken oder offene Fragen gelassen, nein, er hatte sich das Recht zu Vermutungen herausgenommen. Ganze Teile seiner Allgemeinen Chronologie basierten auf bloßen Vermutungen, Wahrscheinlichkeiten – in einem Wort: Erfindungen.

DIALOG
    Darin man über den Unterschied zwischen Wissen und Beherrschen spricht.
    »Dann hat Schoppe also recht?«,

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