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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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Einfachheit große Verbreitung, aber das ist ein Fehler, weil sie vereinfachen. Dasselbe gilt für Galileos Überlegung: Wenn Vermutungen mit den Erscheinungen der Welt übereinstimmen, wie wir sie mit eigenen Augen oder durch ein Fernrohr sehen, darf man daraus folgern, |483| dass sie wahr sein
können
, nicht aber dass sie mit Sicherheit wahr sind. Sie wären es nur, wenn man beweisen könnte, dass keine andere, womöglich noch unentdeckte Hypothese ebenso gut auf diese Erscheinungen passt. Und dieser Beweis wurde noch nie geführt.«
    »Aber so etwas lässt sich ja gar nicht beweisen!«, protestierte ich.
    »Zweifellos. Versteht Ihr jetzt, warum die griechischen Denker, die sehr weise waren, sich mit Theorien begnügten, die mit den Erscheinungen der sinnlich wahrnehmbaren Welt übereinstimmten, und
ab initio
, vom Beginn des Forschens an, darauf verzichteten, das wahre Wesen der Dinge zu entdecken?«
    Ptolemäus, nach dessen Theorien die Sonne sich um die Erde dreht, hatte noch ein zweites Kriterium genannt, nämlich die Regel der größeren Einfachheit: Gibt es mehrere mögliche Hypothesen, nehme man immer die Einfachste, die mit der geringsten Anzahl an logischen Schritten zum Ziel führt.
    Ptolemäus ganzes Bemühen war darauf gerichtet zu beweisen, dass die mannigfaltigen, höchst komplizierten Bewegungen der Planeten, die er in seinem großen Werk, dem
Almagest
, berechnet und beschreibt, um die Bahnen der Sterne zu bestimmen, in keiner Weise real sind, sondern bloße Abstraktionen: Sie existieren nicht am Himmel, sondern nur in den Überlegungen des Astronomen. Zwar hatte es Ptolemäus mit seinem
Almagest
möglich gemacht, den Lauf der Planeten zu berechnen und vorauszusagen und die numerischen Tafeln zu erstellen, derer die gesamte Menschheit sich noch jahrhundertelang bedienen würde. Aber er appellierte an die Bescheidenheit, die die menschliche Wissenschaft auszeichnen muss, und warnte davor, Göttliches und Menschliches miteinander zu vergleichen. Gott allein kennt das wahre Wesen der Dinge, der Mensch braucht nur ein Rechensystem, um natürliche Vorgänge seinen Zwecken dienstbar zu machen, mehr nicht.
    »Zwei sehr unterschiedliche Theorien», schloss er, »können zu identischen Schlussfolgerungen führen, die beide die Erscheinungen retten, also mit ihnen übereinstimmen. Daran zeigt sich ganz klar, dass das menschliche Wissen nicht mit dem göttlichen konkurrieren kann. Doch seht nur: Wir sind schon recht weit gekommen!«

    |484| Die dichte Vegetation hatte jäh aufgehört. Wir hatten den Weg an der Klippe erreicht. Jetzt profitierten wir ungehindert vom hellen Mondlicht, das sich, durchsetzt vom diamantenen Glitzern der Sterne, auf der schwarzen Kugel des Himmelsgewölbes ausbreitete. Der intensive Geruch des Meeres und der Duft von Rosmarin, Myrte und Heidekraut halfen, die Kälte der Nacht zu vergessen, ja, dank der maßvollen Euphorie, die Salz und frische, kühle Luft erregen, wurde unseren müden Gliedern neue Kraft geschenkt.
    Kemal blickte regelmäßig hinter sich, als wollte er die zurückgelegte Strecke ermessen. Dann schnüffelte er wie ein Jagdhund in der Luft, verharrte ein wenig skeptisch und schüttelte zuletzt den Kopf.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte ich.
    »Im Gegenteil, alles in Ordnung. Wir werden bald an den steinigen Pfad gelangen, der die Klippe hinabführt. Macht euch darauf gefasst, dass ihr euch gehörig die Haut aufschürfen werdet, und passt auf, dass ihr nicht so endet wie Bragadin, haha!«
    »Wer ist das denn nun wieder?«, fragte Hardouin.
    »Ein Nazarener aus Venedig, der bei der berühmten Schlacht von Famagosta ein böses Ende nahm. Die Soldaten von Mustafa Pascha zeichneten ihm mit ihren Krummsäbeln am ganzen Körper ein schönes Muster auf die Haut. Die Geschichte hat mir Ali Rais erzählt.«
    Der Buchhändler schüttelte sich angewidert.
    »Seht mal!«, rief Hardouin plötzlich aus, auf einen großen, einsam stehenden Baum weisend.
    »Ich sehe nichts«, sagte Kemal.
    »An diesem Baum hing Mustafas weißer Schal. Er war sorgfältig um einen Ast geknotet, darum und weil dieser Baum so auffällig allein steht, erinnere ich mich. Aber jetzt ist er nicht mehr da. Jemand hat ihn mitgenommen, es gibt keine andere Erklärung.«
    »Vielleicht ein Tier?«, schlug ich vor.
    »Unmöglich, der Ast ist viel zu hoch für die Wildtiere auf dieser Insel, und für einen Vogel war er zu fest geknotet. Außerdem interessieren sich Raubvögel nicht für Lappen dieser Art.«
    Wir

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