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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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und praktischere Rechentafeln, mit denen die Himmelserscheinungen sich vorhersagen lassen. Ob Kopernikus’ Hypothesen wahr oder falsch sind, hat keinerlei Einfluss auf die Berechnungen. Die deutschen Wissenschaftler interessierte diese Frage darum gar nicht.«
    Trotz dieser geschlossenen Front kann Luther alles kurz und klein hauen. Schon bald müssen die deutschen Gelehrten sich selbst und ihren Schriften widersprechen, wenn sie ihre Haut retten wollen. Melanchthon schämt sich nicht, einerseits zu schreiben, Kopernikus’ Theorien seien fehlerlos, und andererseits im Namen der Philosophie und der Bibel zu erklären, die Erde bewege sich nicht. Peucer, der knapp zwanzig Jahre zuvor Stein und Bein auf die Unerkennbarkeit der Himmelserscheinungen geschworen hatte, verdammt Kopernikus Theorien jetzt, weil sie »der Wahrheit völlig widersprechen«.
    Auch die großen Astronomen ändern ihren Kurs. Der Protestant Tycho Brahe wertet Kopernikus ab, weil er mit Aristoteles und der Bibel im Widerstreit liegt. Horstius beeilt sich, all seine wissenschaftlichen Ergebnisse mit Rekurs auf die Bibel und aristotelische Schriften zu rechtfertigen.
    Nun ist man in die Sackgasse geraten. Der Irrtum der Kopernikaner bestand darin, dass sie sich von der Tradition des Osiander abwandten, der sich noch mit der Feststellung der Himmelserscheinungen begnügt hatte. Nun fordern auch sie, dass astronomische Hypothesen wahr sein müssen, und behaupten, die kopernikanischen Theorien seien Wirklichkeit, die Erde drehe sich also tatsächlich um die Sonne.

    Der Schaden ist angerichtet, die Astronomie ist dem Dogma in die Hände gefallen. Will man in der protestantischen Welt verstehen, wie |500| das Weltall gebildet ist, genügt es nicht mehr, Arbeitshypothesen aufzustellen – diese Hypothesen müssen der Philosophie und Religion entsprechend wahr sein. Hypothesen sind keine
zweckdienlichen
Instrumente zur Erreichung eines praktischen Ziels mehr (wie die Zeitmessung durch Vorhersage der Planetenbewegungen), sie müssen
wirklich
sein, also den vagen Überlegungen der Philosophen entsprechen. In wenigen Jahren ist man in den von der Reformation erfassten Ländern vom Instrumentalismus zum Realismus, von der Gedankenfreiheit zur Unterdrückung übergegangen.
    Eine große Wende beginnt. So unerbittlich streng sind die protestantischen Ketzer, dass sie sogar mit dem Finger auf die Kirche Roms zeigen und sie anklagen, Ideen zu erlauben, die Aristoteles und der Bibel widersprechen. In Rom herrscht Verwirrung. Was tun? Keinesfalls können Katholiken sich überrennen lassen und einem Luther gestatten, Orthodoxie und wissenschaftliche Strenge zu überwachen!
    Auch die Katholiken machen eine Kehrtwende. Der Jesuit und Wissenschaftler Christophorus Clavius, der einst seelenruhig die Forschungsergebnisse des Kopernikus benutzte, fügt einer Neuausgabe seiner Werke nun die Kritik am Geozentrismus hinzu, bezieht sich dabei aber nicht auf die Religion, sondern auf die aristotelische Philosophie!
    Die römische Inquisition, die zunächst prokopernikanisch war, wacht auf. Als man beim Fall Galileo ankommt, wird dem toskanischen Wissenschaftler darum verboten, die Hypothesen des Kopernikus zu vertreten, und zwar vor allem, weil sie philosophisch falsch sind. Am Ende ist der wirkliche Gegner der neuen Wissenschaft nicht der Papst, auch Christus nicht, sondern der Heide Aristoteles.

    Die Bestätigung der kopernikanischen Lehre durch die Philosophie ist das Zentrum, in dem die unterschiedlichsten Forschungen Galileos zusammenfließen, von den Beobachtungen des Astronomen bis zu seinen mechanischen Theorien. Er möchte, dass die Grundlagen der Astronomie der Wirklichkeit entsprechen, und versucht diesen Nachweis mit den klassischen Beweisen des Aristoteles zu führen. Die Bibel zitiert er dagegen nie.
    »Wirklich?«, fragte ich höchst erstaunt.
    »Das ist kaum verwunderlich.« Hardouin lächelte. »Es war Galileos kopernikanischer Realismus, der die Inquisition gegen ihn aufbrachte, |501| weil sie den ptolemäischen Realismus vertrat. Andererseits unterschieden die katholischen und protestantischen Inquisitoren sich kaum. Alle folgten der Philosophie des Aristoteles und seines Kommentators, des Arabers Averroes, obwohl beides Heiden waren und die Sterblichkeit der Seele predigten.«
    »Seid Ihr überzeugt von dem, was Ihr da sagt?«, fragte ich verblüfft. »Wie kann eine christliche Inquisition, sei sie nun katholisch oder protestantisch, Theorien heidnischer

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