Das Mysterium der Zeit
ihr ja die nassen Brustbinden abnehmen müssen.
Etwas hatten wir immerhin erreicht: wenn das Pech getrocknet war, würde das Boot benutzbar sein. Vorerst lag es wohlverwahrt und geschützt in der kleinen Höhle, in der wir die Nacht als Schiffbrüchige verbracht hatten. Auf dem Rückweg zum Haus der drei Bärtigen hatte keiner Lust zum Reden, wahrscheinlich überwog, zumindest bei Hardouin und Barbara, der Wunsch, sich voll Zuversicht auf den Tagesanbruch zu konzentrieren, wenn wir mit dem Boot aufs Meer fahren würden und, vorausgesetzt die Witterung blieb ruhig, die Flucht nach Livorno wagen können. Die Ruder waren zum Glück noch mit denselben Seilen an den Dollen festgezurrt, die sie auch bei unserem Schiffbruch im Boot gehalten hatten.
Während des langsamen, vorsichtigen Rückwegs hatte Hardouin Gelegenheit, seine Betrachtung abzuschließen.
BETRACHTUNG
Darin man erfährt, dass Luther der Ideengeber für die Inquisition war, und, schlimmer noch, dass Galileo Galilei unrecht hatte.
Als Martin Luther in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den jahrhundertealten Streit zwischen Aristotelikern und Ptolemäikern |496| eingriff, war die Astronomie zwischen Wien und Padua aufgeteilt. Für die Wiener Astronomen gehörten die Postulate des ptolemäischen Systems zu den seit jeher bestehenden Wahrheiten, die Averroisten der Schule von Padua hingegen, fanatische Anhänger der Lehren des Aristoteles-Kommentators Averroes, griffen erregt all jene Lehren an, die er schon widerlegt hatte. Im Gefolge ihres Lehrers sprachen die italienischen Averroisten – Achillini, Nifo, Amico und Fracastoro – der Astronomie das Recht ab, Hypothesen zu verwenden, die nicht mit der Philosophie des Meisterphilosophen und seines Kommentators schlechthin übereinstimmten. Wie Averroes erklärten sie das ptolemäische System aus diesem Grund für inakzeptabel, und wie Averroes versuchten sie, den
Almagest
durch eine Theorie zu ersetzen, die ausschließlich auf jenen homozentrischen Kreisen gründete, die bei den arabischen Handwerkern so beliebt gewesen waren. Doch wie schon Alpetragius hüteten auch sie sich davor, Details anzugeben, mit denen sich Tafeln der Himmelsbewegungen hätten erstellen lassen – dann hätten alle sofort erkannt, dass ihre Theorie von den Bewegungen der Planeten widerlegt wurde.
Um ihren Betrug zu verschleiern, heuchelten die Lehrer von Padua Verachtung für Details und brandmarkten sie als des wahren Philosophen unwürdige »Spielerei für Astronomen«. Einige, wie Achillini, Fracastoro und Giambattista Amico scheuten nicht davor zurück, in ihren Vorworten zu schreiben: Wir wissen, dass in unseren Werken einige Kleinigkeiten fehlen, aber pedantische Berechnungen sind nicht unsere Aufgabe, und sie lassen sich ohnehin leicht erhalten. Schluss.
Propaganda ersetzt Diskussionen, statt zu philosophieren, heckt man Listen aus.
Das alte Modell des Ptolemäus will lange nicht untergehen. Andere Wissenschaftler, wie Coronelli, Johannes Buridan, Albert von Sachsen und Nicolas Oresme setzen die Demontage aristotelischer Dogmen fort, indem sie sie auf die sublunare Sphäre, also die Erde, ausdehnen. Buridan kann die aristotelischen Prinzipien erfolgreich widerlegen, als er zeigt, dass die Bewegung eines Projektils nicht von der umgebenden Luft, sondern von einem
impetus
erhalten wird, den derjenige, der diesen Körper abschießt, in der Substanz des Projektils erzeugt. Mit diesem in Paris geborenen, außerordentlich fruchtbaren Prinzip wird anerkannt, dass die Philosophie der sublunaren Welt sich nicht von der Philosophie der himmlischen Sphären unterscheidet. Beide folgen |497| derselben Methode, denn ihre Hypothesen haben einen einzigen Zweck: die Erscheinungen zu retten, wie Platon sagte, also mit den Sinnesdaten übereinzustimmen.
Diese klare Vorstellung von der Natur der Hypothesen, die im Mittelalter und zu Beginn der Renaissance viele gewonnen hatten, verdunkelt sich wieder, als ein unvorhergesehener Faktor auftaucht: Luther.
Der Reformator wettert gegen alles und jeden: Kopernikaner, Katholiken, sogar gegen seine eigenen Leute. Alle werden bezichtigt, die Theologie von der Wissenschaft zu trennen. Gotteslästerlich und verderbt sind seiner Meinung nach vor allem die Päpste, die den Empfehlungen des Ptolemäus folgen und jede Art Hypothese als nützlich erachten, die Erfahrungswerte bestätigt, sogar dann, wenn solche Hypothesen der Bibel widersprechen.
Drohend fordert Luther, dass eine Hypothese,
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