Das Mysterium der Zeit
aufzubauen, wie zum Beispiel den Begriff der Ursache, und dann um diesen Begriff herum nebulöse Betrachtungen und Fragestellungen zu entwickeln, die schließlich ohne Antwort blieben. Aus diesem Magma, mit dem er tausende von Seiten besudelte, konnte niemand eine Sicht auf das Ganze gewinnen, doch gerade darum schüchterte er alle ein, und keiner wagte zu widersprechen. Die Franzosen, die, wie gesagt, reinen Herzens sind, ließen sich von ihm erobern.
Um noch mehr Verwirrung zu stiften, listete Julius Cäsar in der Bibliographie seine Werke unter anderen Titeln auf, führte Entwürfe, ja, sogar nur Ideen als fertige Werke an oder gab einem Kapitel aus einem früheren Buch einen eigenen Titel, sodass es wie eine neue Veröffentlichung aussah.
Kurzum, Julius Cäsar war die Inkarnation aller schlechten Eigenschaften der Italiener: ein Schlitzohr, Bauernfänger, Intrigant, Schwindler, Hundsfott, Prahlhans, Dickschädel, Klugscheißer, Quertreiber, Pechvogel, Quälgeist, Feigling, Korinthenkacker und Blutsauger.
|579| Von diesem Menschen stammte der Mann ab, der die Zeitalter der Weltgeschichte festlegen, die Ursprünge der Menschheit erforschen und die Ausdehnung der Zeit messen sollte. Vater und Sohn Scaliger verstanden sich prächtig. Julius Cäsar brachte seinem Sohn Latein und Griechisch bei und machte aus ihm einen frühreifen Gelehrten, damit er schon bald in deren Republik eingeführt werden konnte. Um seiner eigenen Karriere willen verwandelte der Sohn den Vater mit Hilfe einer geschönten Biographie in einen großen Herrn. Er machte ihn zum Enkel von Guglielmo Della Scala, dem Herrscher von Verona, der 1404 bei einem Komplott entmachtet und getötet wurde. Guglielmo Della Scala hatte drei Söhne, Josef Justus erfand einen vierten, Nicolò, und machte ihn zum Vater seines Vaters. Er verlegte seinen Geburtsort von Padua nach Riva del Garda und behauptete, es habe seinerzeit zu Verona gehört. Als kleiner Junge sei Julius Cäsar der beste Page des österreichischen Kaisers gewesen, er habe als Soldat an den Feldzügen in Frankreich und Flandern teilgenommen und seinem Onkel bei der Schlacht von Ravenna 1512 beigestanden, wo er den Tod seines Vaters und eines älteren Bruders erleben musste. Dann sei er in Modena Gast des berühmten Herzogs Alfonso d’Este gewesen, doch das bequeme Leben bei Hofe habe ihn gelangweilt, weshalb er in den Orden der Franziskaner eintrat. Nach einer bösen Erfahrung, die in der Biographie in Nebel gehüllt war, ihm aber Mönche jedweden Ordens für immer verhasst machte, soll er sich an der Universität Bologna eingeschrieben haben, wo er Umgang mit anderen Adelssprösslingen pflegte und mit ausgezeichneten Ergebnissen studierte. Er wurde Arzt und später Secretarius des Bischofs Antonio della Rovere, einem Verwandten des Papstes, der ihn mit nach Agen nahm, wo er sich niederließ.
Eine schöne Erzählung mit einem einzigen Makel: kein Wort davon ist wahr.
»Man kann sich nicht vorstellen«, jubelte Schoppe, »was los war, als das Universitätszeugnis von Vater Scaliger, natürlich auf mein Betreiben, öffentlich gemacht wurde. Denn dort tauchte sein wahrer Name Giulio Bordone auf!«
Scaliger Junior beschuldigte Schoppe der Fälschung. Dann musste er zugeben, dass das Zeugnis echt war und behauptete flugs, es sei das Zeugnis eines gleichnamigen Studenten gewesen – ohne zu erklären, wer das war.
|580| Unterdessen hatte Joseph Justus sich dank seiner philologischen Werke (über Vergil, Manilius und andere) ähnliches Ansehen verschafft wie der Vater. Zunächst hatte er einen Gönner gefunden, einen jungen französischen Adeligen, der ihm Kost und Logis gewährte. Später wurde er auf einen sehr gut bezahlten Lehrstuhl nach Leiden gerufen.
»Zeit für Studien blieb ihm genug«, bemerkte Schoppe mit einem anspielungsreichen Grinsen, »denn Frauen existierten für ihn nicht, wie sie für alle Leute seines Schlages nicht existieren, die ein Auge in den Büchern haben und mit dem anderen hinter irgendwelchen Schwulen her sind. Habt Ihr bemerkt, dass keiner dieser Ungläubigen sich für Frauen interessiert? Peiresc nicht, Naudé und sein Freund von der Tetrade, dieser Diodati nicht, weder die Du Puy noch der hochverehrte Cavaliere und Commendatore Cassiano del Pozzo, Cremonini und sogar der arme Guyetus nicht. Ich hingegen habe eine Frau, die mich in Padua erwartet, meine alte Maddalena.«
Die Bildung Scaligers sei allerdings keine Ausgeburt der Phantasie, räumte Schoppe ein. Er
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