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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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zwischen dem Fall Bouchard und dem Fall Moro ist, dass alle von Moros Gefangenschaft wussten und seine Aufzeichnungen mit dem nötigen Misstrauen gelesen wurden, während sich bis heute niemand Gedanken um Bouchards letzte Lebensmonate gemacht oder Zweifel an der Echtheit der pornographischen Seiten geäußert hat, in denen der junge Franzose mit eigener Hand die Erinnerung an sich in den Schmutz zieht.
    Das Beispielhafte daran ist also: Was ein oder zweimal passiert ist, kann auch wieder geschehen. Vielleicht ist es sogar schon passiert, vor und nach |756| Bouchard oder vor und nach Aldo Moro. Die Wahrheit über wer weiß wie viele andere Fälle wartet noch darauf, ans Licht gebracht zu werden.

    Gestorben fünfeinhalb Monate nach einem mysteriösen Angriff und einem noch merkwürdigeren Todeskampf, überlebte Jean-Jacques in der kollektiven Erinnerung nur dank des gut gehüteten Geheimnisses um ein liederliches Leben und dessen Schilderung, die er, so scheint es, selber in einigen Tagebüchern hinterließ. Welche Doppelzüngigkeit von Leben und Gedanken! Er war Anwärter auf ein Bischofsamt und dann entpuppt er sich in seinen Tagebüchern als bisexuell, impotent, ein mit Komplexen beladener, erbärmlicher Onanierer. Bouchard der Krankhafte, der Perverse, der Heuchler.

    Alle Arbeiten des größten Bouchard-Forschers, Emanuele Kanceff, sind in dem Band
Poliopticon italiano
, Genf, 2 1994 zusammengefasst.
    Von Kanceff stammt auch die kritische Edition in zwei Bänden von Bouchards
Journal
, Turin 1976. Der erste moderne Wissenschaftler, der sich mit unserem Glücklosen beschäftigte, ist allerdings René Pintard,
Le libertinage érudit dans la première moitié du
XVII e
siècle
, Paris 1943-Genf 2 2000. Über das Schicksal von Bouchards Manuskripten vgl. I. Herklotz,
Jean-Jacques Bouchard (1606–1641). Neue Spuren seines literarischen Nachlasses
, LIAS 29 (2002), S. 3–21.
    Seltsamerweise wird von der Geschichtswissenschaft nie an die Beziehungen zwischen Naudé und Bouchard erinnert. Wenn man von Gabriel Naudé spricht, liegt die Aufmerksamkeit allein auf seinem Ruf als Gelehrter und Bücherliebhaber, auf seinem aufgeklärten Skeptizismus, auf der Verstandesschärfe des Kritikers. Über die sexuellen Vorlieben Naudés, die in Bouchards Tagebuch belegt werden, kein Wort.
    Haben sie etwa nicht zusammen die zweifelhaften Versammlungen der französischen Libertins in Rom besucht? Haben sie nicht beide die skandalösen Konversationen mit dem Mediziner Trouiller genossen? War es nicht Naudé, der dem Freund die Türen zu der von ruchlosen Menschen dominierten Welt Roms geöffnet hatte?
    Von Bouchard wird heute nur noch wegen seiner angeblichen Perversionen Notiz genommen, wenn man aber auf Naudés Leben zu sprechen kommt, verschwindet er oder wird geschickt versteckt. Seine Zugehörigkeit zum Kreis der besten Philologen seiner Zeit ist belegt, unter ihnen ist mindestens der große Gräzist Leone Allacci zu nennen (wie Naudé im Roman Atto Melani erinnert). Und dennoch scheint die Entdeckung der obszönen Tagebücher all seine Verdienste auszulöschen.
    Ist das gerechtfertigt?
    Wie Gabriel Naudé in unserem Roman erzählt, verbreitet sich sofort nach dem Angriff auf Bouchard die auch durch Zeugen bekräftigte Ansicht, dass der Drahtzieher hinter dem Angriff der Botschafter von Frankreich in Rom, Marschall d’Estrées war (vgl. P. Blet SJ,
Correspondance du nonce en France Ranuccio Scotti (1639–1641
)). Aber der Prozess gegen einen der mutmaßlichen Attentäter, einen gewissen Charlier, fand aufgrund der diplomatischen Immunität, hinter der sich der Botschafter d’Estrée mit seinen Männern verschanzen konnten, nie statt. In seinem Testament hinterließ Bouchard Cassiano dal Pozzo alle seinen privaten Aufzeichnungen, die Manuskripte seiner Studien gingen hingegen an die Bibliothek der Familie Barberini, einschließlich der Ergebnisse seiner Nachforschungen zu Synkellos, die dann auf schleierhafte Weise vom Bibliothekar der Vatikanischen Bibliothek, Lucas Holstenius, nach Frankreich verschickt wurden.
    Heute wissen wir, dass die Dinge im kurzen Leben des Jean-Jacques Bouchard nicht so vonstattengingen wie es uns erzählt wurde. Die Beweise dafür werden wir später näher ausführen. Es wäre jedoch von Anfang an möglich gewesen zu erahnen, dass die offizielle Version von Bouchards Tod und seine jahrhundertelange Diffamierung nicht haltbar waren. Dies hätte den professionellen Stöberern in Archiven und Annalen

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