Das Mysterium der Zeit
Es ist ein lächerlich ungleicher Kampf, und er ist von vorneherein verloren.
Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht muss alles genau so passieren, vielleicht darf es kein Kampf zwischen Orlando und Rinaldo sein, |748| sondern notwendigerweise einer zwischen David und Goliath. Welch ein Verdienst läge sonst darin?
Während der Lösegeldverhandlungen mit der französischen Marine wart ihr auf der Karacke der Korsaren alle in Sorge um Guyetus.
Kemal hatte dem armen Pariser Philologen Tabak unter die Achseln gesteckt, damit er hohes Fieber bekam. Ein alter Trick, der immer funktioniert. Er tat es mir zu Gefallen: ich konnte nicht zulassen, dass Guyetus auf euch traf. Denn dann hättet ihr entdeckt, dass er nicht mit mir gesprochen hatte, bevor er verschwand. Was ich euch damals nach seinem scheinbaren Selbstmord erzählte, war nicht das Geständnis von Guyetus, sondern das Ergebnis meiner Lektüre der Aufzeichnungen Bouchards. Den falschen Brief, mit dem Guyetus seine Absicht zum Freitod bekundete, hat nicht Kemal, den habe ich geschrieben. Dafür habe ich die Unterschrift benutzt, die Guyetus unter seine schriftliche Erklärung für dich gesetzt hatte: Wenn du in einem der drei Bärtigen Philos Ptetès erkanntest, würdest du es nur ihm mitteilen und dafür reich belohnt werden. Ich hatte mir diese Unterschriften von allen Gelehrten besorgt, die eine Abmachung mit dir unterzeichnet hatten, doch dann benötigte ich nur die von Guyetus.
Ich schnitt den unteren Teil der Erklärung mit der Unterschrift ab, und daneben schrieb ich seinen traurigen Abschied von der Welt in Großbuchstaben, damit die abweichende Handschrift nicht auffiel. Doch wenigstens die Unterschrift musste echt sein, denn noch war Hardouin bei uns, der Guyetus Handschrift kannte.
Als wir in Toulon ankamen, ist mir der kalte Schweiß ausgebrochen, weil du um jeden Preis mit Guyetus sprechen wolltest, um seine Version der Ereignisse zu hören, bevor wir uns trennten und unsere Reise zu Pferd nach Paris fortsetzten. Doch sein hohes Fieber hat die Franzosen zu meinem Glück bewogen, ihn strikt von uns allen zu isolieren, auch vom alten Schoppe, der in Toulon die nötige ärztliche Pflege erhielt.
Auch den Abschiedsbrief, in dem Hardouin ankündigte, er wolle zusammen mit Malagigi versuchen, Livorno zu erreichen, habe ich geschrieben, nicht Ali Ferrarese, obwohl ich keine fertige Unterschrift |749| von Hardouin besaß. Das war in diesem Fall kein großer Nachteil, denn niemand von uns kannte seine Handschrift.
Es gibt noch etwas, das ich dir gestehen möchte. Das zweite unvorhergesehene Ereignis neben den Korsaren war dein falscher Barbello: Barbara Strozzi, die verkleidete Frau, die venezianische Sängerin, die ich aufgrund der wechselvollen Begebenheiten nie singen oder mit ihren zarten Händen Laute spielen hörte. Vergib mir, dass ich dir ihre Untreue offenbaren musste, aber ich weiß ja, dass du dein Herz inzwischen einem anderen Herzen geschenkt hast, und das für immer, wenn ich dich richtig kenne.
Auf Kemals Karacke hatte ich noch immer nicht verstanden, warum dieses gefährliche Geschöpf mir die geheimsten Winkel seiner verborgenen weiblichen Natur hatte öffnen wollen und welch eine hochgemeine Mission sie mit ihrem sonderbaren Sack nach Paris führte.
Meine bis dahin vergeblichen Nachforschungen fanden auf der Karacke ein unverhofftes Ende, als mir überraschende Szenarien enthüllt wurden. Während die Verhandlungen zwischen der französischen Marine und unserem Ali Rais über die Höhe des Lösegeldes, das uns die Freiheit geben würde, noch in vollem Gange waren, hatte der Kapitän des Kriegsschiffes Seiner Majestät des Allerchristlichsten Königs von Frankreich uns duftende Salben, Parfüme und prächtige Kleider schicken lassen. Wir hatten uns gründlich gewaschen und suchten nun in den neuen Kleidern jeder nach einem passenden Gewand in seiner Größe, als ich mich plötzlich heftig am Arm gezogen fühlte.
»Das ist mein Gefährte, er ist es wirklich! Oh Gott! Ich dachte, es wäre nur ein Spaß … wie oft haben wir Scherze damit gemacht …«
Es war der vermeintliche ehemalige Kommissar von Gorgona. In der Hand hielt er Barbellos geheimnisvollen Sack.
Ich suchte mit Blicken nach Barbara und entdeckte sie am andern Ende des Decks, wo sie sich hinter einem von dir und Malagigi gehaltenen Vorhang wusch und die neuen Kleider anlegte – natürlich als Kastrat.
»Oh, mein Gott! Oh Gott!«, schluchzte der arme Irre. »Es war doch
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