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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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auffallen müssen. Aber besser spät als nie. Und wenn man es genau betrachtet, ist niemand wirklich scharf darauf, einen vom Blei der Infamie zerquetschten Toten mühevoll wieder auszugraben. Im verwirrenden
Suk
der Geschichtsschreibung ist nichts beruhigender, als sich an den starken Felsen des schon Gesagten zu klammern.
    |757| Zu viel Unwahrscheinliches
    Die offizielle Version: Bouchard stirbt am 27. August 1641 an den Nachwirkungen eines auf ihn verübten Angriffs vom 10. März desselben Jahres. Cassiano dal Pozzo, auf Wunsch des Toten Verwalter des Erbes, stehen die privaten Aufzeichnungen zu. So fallen Cassiano einige Dokumente mit schändlichem Inhalt in die Hände. In ihnen wird von Bouchards Jugend in Paris und seinen ersten Jahren in Rom berichtet: homosexuellen Liebschaften, Selbstbefriedigung, |758| Impotenz, sexueller Gewalt, materiellem und moralischem Elend. Nach Meinung der Historiker alles fast zeitgleich mit den erzählten Ereignissen, also circa zehn Jahre vor seinem Tod niedergeschrieben.
    Ein unvorstellbarer Fehltritt: Wollte Bouchard, der zwei Mal sein Testament aufsetzte und genug Zeit gehabt hatte, um sich auf sein Ende vorzubereiten, der Nachwelt tatsächlich so ein Bild von sich hinterlassen? Hatte er, der ein Bischofsamt anstrebte, Anordnungen und Geld für die Errichtung eines Grabes sowie hundert für seine Seele gelesene Messen hinterließ, nicht ergewogen, welche Auswirkungen dies nach seinem Tod auf seinen Ruf haben würde?
    Aber es wird noch merkwürdiger. Cassiano versäumt es, die kompromittierenden Aufzeichnungen zu verbrennen und so das Andenken des Toten zu schützen. Im darauffolgenden November macht er dann einen noch befremdlicheren Schritt: Er gibt alle Papiere in die Hände von Christophe Du Puy, dem Vorsteher der Kartause von Rom. Nicht nur zeigt er ihm die Aufzeichnungen – was sein Auftrag als Testamentsverwalter keinesfalls vorsah (ihn im Gegenteil vielmehr davon hätte abhalten sollen) – sondern er lässt sie ihm sogar nach Hause schicken. Ist dies wahrscheinlich? Du Puys Kartäuser waren von Bouchard mit einer Geldsumme bedacht worden, und doch verhält sich der Pater noch merkwürdiger als Cassiano. In keiner Weise von priesterlichen Skrupeln abgehalten, schickt er das skandalöse Papierbündel an den Absender zurück, greift zur Feder und schreibt an seine zwei Brüder in Paris. Pierre und Claude Du Puy waren die Seele des berühmten mondänen Salons, den Bouchard in seiner Jugend frequentiert hatte. Nachdem der junge Mann nach Rom gezogen war, hatte er mit den zwei Du Puys aus Paris einen regelmäßigen Briefkontakt gepflegt.
    Der Kartäuser weiß also bestens, dass sich vom Salon der Brüder die unersättliche Klatschgier über ganz Paris ausbreiten wird. Er berichtet, dass in Bouchards Aufzeichnungen »alle Schweinereien, die man sich vorstellen kann, vor allem bezüglich der Dinge, die in diesem Land Gefallen finden. Teuflisches Zeug« enthalten sind. Pater Christophe beschwert sich auch über die Spärlichkeit von Bouchards Hinterlassenschaft und lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, dessen Ambitionen und dürftige moralische Qualitäten zu kritisieren. Schlechter Geschmack, vor allem bei einem Geistlichen, der von einem Toten begünstigt wurde, welcher auch noch, armer Unglückseliger, in Folge einer Gewalttat verstorben war. Ist dies alles logisch und wahrscheinlich?
    In den hinterlassenen Dokumenten erregt etwas Aufmerksamkeit. Am |759| 20. März, zehn Tage nach dem Attentat, schrieb Bouchard an die beiden Brüder Du Puy einen Brief (Paris, Nationalbibliothek, Collection Dupuy n.619, fol. 71–72: J.J. Bouchard à J. Dupuy, 20 marzo 1641), in dem er einen der Angreifer beschrieb:

    »Dieser Mann schlug mir mit einem breiten und sehr kurzen Schwert mit aller Kraft auf den Kopf; ich bückte mich, um dem Schlag auszuweichen, der aber so stark war, dass er mir eine große und tiefe Wunde beibrachte und mich zu Boden schlug. Der Mörder warf sich sofort auf mich, um mich umzubringen […].
Man sagt, wenn Ihr Herr Neffe anwesend gewesen wäre, er hätte ihn leicht wiedererkannt.«

    Eine verfängliche Anspielung: In der Tat war ein Neffe der Brüder Du Puy als Sekretär im Dienste der französischen Botschaft in Rom. Warum schreibt Bouchard, dass dieser einen der Meuchelmörder »leicht wiedererkannt« hätte? Vielleicht wusste Bouchard, wer der Mann war? Und warum nennt er ihn dann nicht beim Namen? Es liegt der Verdacht nahe, dass er damit sagen wollt:

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