Das Mysterium der Zeit
hingerichtet werden, so viel ist klar, ohne schwere Vergeltungsmaßnahmen seitens der Tunesier zu riskieren. Doch welche Gräueltaten wird er nach neun Jahren Kerker, Prozessen und Folter verüben, sobald er wieder auf Kaperfahrt geht? Nur eine Verlegung auf Galeeren, als Rudersklave, käme den Forderungen der Tunesier entgegen, ohne dass man ihn freilassen muss. Natürlich nur unter der Bedingung, dass eine Flucht unmöglich ist, und dass er nicht bei der nächsten Seeschlacht von den Seinen befreit wird.
Der Oberste Rat der Inquisition billigt die Verlegung auf ein Schiff. Doch ein weiteres Jahr vergeht, und nichts bewegt sich. Der Italienrat, die spanische Regierungskommission, die sich mit dem Vizekönigreich in Süditalien befasst, zögert und gibt zu bedenken, dass schon vor einem halben Jahrhundert, seit der Zeit Philipps II., empfohlen wurde, die gefangenen Rais an sicheren Orten zu bewachen, zum Beispiel in Festungen im Hinterland, niemals aber auf Schiffen, von denen es tausend Fluchtmöglichkeiten gibt. Ihn auf Galeeren zu schicken, statt in den Kerker oder aufs Schafott, hieße außerdem, ihn als Türken anzuerkennen. Das hatte er immer geschworen, und es wäre |166| ein, wenngleich bitterer, Sieg für den Korsar. Für die Inquisitoren, die Jahre gebraucht haben, um ihn anzuklagen, dagegen eine schwer erträgliche Lösung. Vom doktrinären Standpunkt aus ließe sich der Fall nur befriedigend abschließen, wenn Ali sich mit seinem christlichen Glauben versöhnt, also die Rückkehr in die Herde vollzieht. Andernfalls würde er hocherhobenen Kopfes das Gefängnis verlassen und sich stolz zwischen die Ruderer setzen, ein Türke unter Türken.
Zuletzt wird in Anbetracht der Einzigartigkeit des Falles trotzdem beschlossen, ihn auf ein Schiff zu bringen, später kann man ihn ja immer noch in irgendeiner gut bewachten Festung einsperren. Auch der König von Spanien gibt seine Einwilligung. Nun steht der Verlegung auf eine Galeere nichts mehr im Weg. Doch ausgerechnet von diesem Moment an verliert sich alles im Dunkeln.
»Was soll das heißen, im Dunkeln?«, fragte ich.
»Die Einwilligung des Königs von Spanien kam 1634«, antwortete der Statthalter. »Aus unbekannten Gründen ignorierten die Inquisitoren, deren Gerichtsbarkeit der Gefangene untersteht, sogar den Willen des Königs, und nichts bewegte sich bis zum Jahr 1640, also vor sechs Jahren.«
In diesem Jahr drängt der Erzbischof von Palermo wieder darauf, den Korsar gegen den in Tunis gefangenen sizilianischen Priester auszutauschen, der ihm so sehr am Herzen liegt. Zwei weitere Jahre vergehen, der Oberste Rat der Inquisition schließt sich den sizilianischen Kollegen an und vereitelt die Verlegung auf ein Schiff. Vielleicht fürchtet er, dass jemand heimlich die Flucht des Gefangenen vorbereitet?
»Von diesem Moment an, also vor vier Jahren, hat niemand mehr gewusst, wo er sich befand«, schloss der Statthalter. »Einige sagen, er sei noch immer im Gefängnis, andere wähnen ihn aufgrund einer dringlichen Verfügung des Königs von Spanien in Ketten auf einer Galeere im Golf von Neapel. Manche beteuern, sie hätten ihn in einer kleinen Festung im Gebirge mitten in Sizilien gesehen, andere haben sichere Beweise, dass er unter falschem Namen nach Spanien gebracht wurde. Es gibt auch Gerüchte, er sei erkrankt, und da er bald sterben werde, habe man ihn seinen Korsaren zurückgegeben, damit er wenigstens in |167| der Heimat sterben könne, was den Zorn des Regenten von Tunis hoffentlich ein wenig dämpfen werde.«
Doch das sei alles nicht wahr, sagte der Statthalter. Die Wahrheit, die sich hinter allzu vielen politischen Interessen verstecke, hätten wir mit eigenen Augen feststellen können: Ali Rais, der Ferrareser, war wieder auf Kaperfahrt als Korsar. Wir und die auf der Karacke angeketteten französischen Matrosen seien die Zeugen.
»Ihr werdet mich fragen: Wie hat er das gemacht? Ich sage euch: Es ist ein Geheimnis, das von einem weiteren Geheimnis umgeben wird, das sich wiederum in einem Geheimnis verbirgt, und alle zerbrechen sich darüber die Köpfe, hahaha!«
Der Barbareske lachte ein hässliches Lachen und blähte die Brust auf, um Atem zu holen. Das anstrengende Rudern auf diesem verfluchten Boot reiße an seinen Gliedern, fluchte er.
»Und ich kann euch versichern«, fügte er hinzu, »dass er nicht einmal mir, der ich ihn besser kenne als die Haare auf meinem Bauch, je verraten hat, wie er in sein früheres Leben zurückkehren
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