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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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Nussschale umkippten. Sie wuchsen nämlich zusehends an Höhe, und immer tiefer wurden die Schluchten zwischen einem Wellenkamm und dem nächsten. Während die Ruderer verzweifelt versuchten, das Boot im Gleichgewicht zu halten, wagte niemand an Bord, den Mund zu öffnen. Du und ich erboten uns, an die Stelle von Hardouin und Malagigi zu treten, aber sie lehnten einen Wechsel vorerst ab. Seit der Wind sich erhoben hatte, war keine Kraft mehr vonnöten, sondern Nervenstärke und kluge Voraussicht beim Eintauchen der Ruder zum richtigen Zeitpunkt, um das Umkippen zu vermeiden. Die anderen drängten sich eng aneinander und versuchten, tief ins Boot geduckt, das Gleichgewicht zu halten und sich vor den Spritzern zu schützen. Wie lange es dauerte? Eine halbe Stunde vielleicht, vielleicht viel länger, niemand von uns wird es je sagen können. Ich bin mir aber sicher, dass jeder im Stillen die Zeit mit verzweifelter Genauigkeit maß: noch eine Welle, noch eine Schlucht, das Boot knirscht, wieder schwappt Wasser über den Rand, unterdessen kommt das Land vielleicht ein wenig näher. Und bei jeder Welle wurden die Gesichter erneut von der |170| Gischt gepeitscht, mit jedem Schwanken gerieten die Mägen ein wenig mehr in Aufruhr.
    »Es fehlt nicht mehr viel!«, schrie Kemal, um uns Mut zu machen.
    »Hat diese verflixte Insel denn keinen Leuchtturm?«, fragte Schoppe.
    »Nicht dass ich wüsste«, antwortete Kemal. »Aber wenn wir einen sehen, fahren wir nicht darauf zu, das ist eine Falle.«
    »Was meinst du damit?«, fragte Pasqualini.
    »Die Korsaren könnten ein Licht aufgestellt haben, um uns an eine gefährliche Stelle zu locken statt in die Einfahrt zu einer Anlegestelle. Die Schiffe sollen getäuscht werden und an den Klippen zerschellen, dann lassen sie sich leichter entern. Diesen Trick benutzen viele Barbaresken, und wenn die Stelle gut gewählt ist, funktioniert es bestens. Im Sommer ist es nicht ratsam, ihn auf Gorgona anzuwenden, denn dann ist die Garnison des Großherzogs der Toskana hier stationiert. Das ist zwar eine Herde von Trotteln, aber sie können trotzdem Ärger machen. Im Winter dagegen ist die Bahn frei.«
    Die Warnung wurde von uns allen mit Beschimpfungen und Flüchen kommentiert, doch wenn diese Strategie von Alis Barbaresken oder anderen tatsächlich angewendet wurde, hätten wir die Lage der Insel besser ausmachen können und wären dank der Vorwarnung dennoch nicht in die Falle gegangen. Herz und Verstand aller waren jedoch von der Gefahr so erschüttert, dass sie nur mehr zwischen Tod und Leben, zwischen Feind und Freund unterschieden. Da entlud eine entsetzliche Welle, viel größer als die vorhergehenden, ihre salzige Gischt über uns und löste einen Chor wütender Angstschreie aus.
    »Wenn ein Licht auf der Insel vielleicht eine Falle bedeutet, dann sucht eine andere Stelle zum Anlegen!«, schrie Naudé die Barbaresken an.
    »Est diffizil, non cognoscer Gorgona«, war die Antwort.
    Just in diesem Moment erblickten wir zum ersten Mal die schwärzlichen Umrisse der Insel, die sich mühsam gegen den sterbenden Tag am dunklen Horizont abzeichneten.

|171| DISKURS XXI
    Darin es zwar gelingt, anzulegen, doch nicht so, wie man es sich gewünscht hatte.
    Während wir uns der Insel näherten, bestürmten wir die beiden Korsaren mit einer Menge Fragen, um eine wenigstens annähernde Beschreibung der Insel zu erhalten. Antonio und Vincenzo, oder auch Mustafa und Kemal, wie ihre Räuberkumpane sie nannten, waren mit Gorgona und dem umliegenden Meer jedoch nicht vertraut, sie wussten nur, dass Ali hier mehrmals an Land gegangen war, um Wasservorräte zu holen. Jedes Barbareskenschiff konnte dies ungehindert tun, wie sie uns erzählten, denn wenn die kleine Garnison des Großherzogtums Toskana auf der Insel stationiert war, stellten die Soldaten sich blind für die in der Nähe kreuzenden Schiffe der Korsaren und wollten nicht einmal wahrnehmen, dass die Korsaren sich an Land mit Wasser versorgten, um einen Kampf zu vermeiden, aus dem sie dezimiert hervorgehen würden. Die beiden Barbaresken wussten nicht, ob die Insel über einen Hafen verfügte, also musste man einen geeigneten Anlegeplatz finden. Die Ostseite fiel sanft zum Strand ab, während die Westseite offenbar zum Großteil aus steilen, hoch über dem Meer aufragenden Klippen bestand.
    Also sei es gefährlich, wenn wir versuchten, im Osten an Land zu gehen, sagte ich, denn wenn Alis Schiff sich in der Nähe der Insel befand, wartete es

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