Das nasse Grab
gibt dieses Volk und diese Göttin.«
Wieder schwieg sie für die Dauer einiger Herzschläge. Als sie fortfuhr, war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
»Anemona, die Unersättliche! Von den Inselbewohner ist keine Hilfe zu erwarten. Sie fürchten entweder das Meervolk, oder sie huldigen ebenfalls der Anemona. Wir müssen das Schlimmste befürchten. In den Tiefen des Nassen Grabes mag eine uralte Macht lauern, der auch eine Zaubermutter nichts entgegenzusetzen hat.«
»Du glaubst«, fragte Gudun entsetzt, »daß sich die Zaem und Burra in der Gewalt dieser… Tritonen befinden?«
»Wir sollten es in Betracht ziehen. Deshalb muß Artiki uns führen.«
»Ins Meer?«
»Zu den Tritonen«, nickte die Hexe ernst.
Den Amazonen, deren Narben von ungezählten Kämpfen zeugten, lief ein Schauder über den Rücken. Gegen jeden Gegner aus Fleisch und Blut nahmen sie es auf. Doch der Gedanke an Wassermenschen, ungeheuer fremdartige Geschöpfe aus einer fernen Vergangenheit, war ihnen unheimlich.
»Es muß Plätze geben, an denen sich Meervolk und Inselbewohner begegnen«, sagte Sosona. »Dort sollten wir mit der Suche beginnen.«
Widerstrebend erklärten sich Gorma und Gudun damit einverstanden, Artikis Dienste in Anspruch zu nehmen.
Sie kehrten in die Hütte zurück. Die anderen Kriegerinnen bewachten noch die Ausgestoßenen am Feuer.
»Ich bringe euch zu den Klippen«, sagte Artiki auf die entsprechende Frage, »wenn ihr mir euer Wort gebt, mich von hier fortzubringen. Eure Ehre wird euch verbieten, es zu brechen.«
»Du hast es«, sagte Sosona, wobei sie sich fragte, ob Artiki wirklich daran glaubte, daß sie das Nasse Grab jemals wieder verlassen würde. Nach ihren eigenen Worten konnte das niemand.
Und sie selbst? Die Dienerinnen der Zaem?
Sosona wollte nicht daran denken.
»Wann?« fragte sie nur.
Artiki erhob sich.
»Nicht in dieser Nacht«, flüsterte sie. »In der nächsten. Es gibt einen uralten Kultplatz bei den Klippen. Wenn der Mond am höchsten steht, beschwören die Menschen das Meer, und…« Sie winkte ab. »Ihr werdet es sehen. Aber wir dürfen nicht auf der Insel bleiben. Wir würden alle den morgigen Tag nicht erleben.«
Sosona fragte sich, ob sie denn auf der Sturmbrecher sicherer waren.
Die Gefahren mögen die gleichen sein, sagte sie sich, Angriffe der Entersegler oder anderer, unbekannter Gegner aus den Tiefen. Aber auf dem mächtigen Schiff konnten sich die Amazonen besser verteidigen, und vor allem waren sie zahlreicher.
Außerdem drängte es die Hexe, einen erneuten Versuch zu untemehmen, über die Zauberkugel Verbindung mit Zaem aufzunehmen. Alle bisherigen Versuche waren kläglich gescheitert. Doch hier, wo die Zaubermutter sich irgendwo befinden mußte…
»Zur Sturmbrecher! «hörte sie Gorma sagen. »Auf daß wir ihre Planken von den Füßen einer Hure beflecken lassen!«
Der Stachel saß tief im Fleisch der Amazonen. Sosona verstand sie gut, und dennoch mußte sie sie in die Schranken weisen. Gudun, Gorma, Tertish und all die anderen in Burras Gefolge – sie alle hatten ein Leben der Entbehrungen geführt, hatten den Freuden des Lebens entsagt und waren durch eine unvorstellbar harte Schule gegangen, um ihrer Zaubermutter Zaem zu dienen.
Artiki schreckte in ihrer Verwirrtheit nicht einmal davor zurück, ihre eigene Zaubermutter zu verfluchen! Für die Amazonen spielte es dabei keine Rolle, daß die Zahda zur erbitterten Gegnerin der Zaem geworden war.
Schwere Zeiten waren über Vanga gekommen – Zeiten, die es Zaem notwendig erscheinen ließen, die Erste Frau Vangas zu töten, bevor der Schatten, der auf sie herabgestoßen war, die ganze Welt in Dunkel und Chaos stürzen konnte.
Die zehn Kriegerinnen sammelten sich. Es war eine schweigende Prozession, die von den Feuern zu den Ballonen marschierte. Glasige Augen starrten den Amazonen, der Hexe und der Ausgestoßenen nach, und Fäuste wurden in stummer Wut geschüttelt.
Wenig später schloß Sosona die Tür ihrer Unterkunft auf der Sturmbrecher hinter sich und nahm die Zauberkugel in ihre Hände.
Zaem! dachte sie eindringlich. Wenn du mich hören, sehen oder fühlen kannst, so melde dich! Sage mir, was zu tun ist!
3.
»Wasser!« kreischte Gerrek, der Beuteldrache. Dann schrie er aus Leibeskräften: »Ich hasse es! Oh, wie ich es hasse!«
»Erstens«, sagte Mythor, »befinden wir uns nicht im Wasser, sondern in einer Blase aus Luft, und…«
»Aber draußen ist Wasser!«
»… und zweitens wird diese Luft
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