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Das Nest der Nadelschlange

Das Nest der Nadelschlange

Titel: Das Nest der Nadelschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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Morgendämmerung.
    Hatte er die ganze Nacht in diesen Mauern verbracht? Er wollte es kaum glauben, doch alle Anzeichen sprachen dafür.
    Sein Blick fiel auf den Jungen, der wie tot neben ihm lag. Aber es war nur die Erschöpfung, die seine Gesichtszüge weich und gelöst erscheinen ließ.
    Hark stand oben zwischen den Säulen. Das weiße Bündel vor seinen Läufen, das sich kaum von dem Marmor abhob, konnte nur der Schneefalke sein.
    Mythor erschrak: Wenn Horus den Kampf mit der Schlange nicht überstanden hatte, war das einzig und allein seine Schuld. Denn immerhin hatten die Tiere und auch der Helm der Gerechten versucht, ihn in eine andere Richtung zu weisen.
    War er wirklich würdig, das Erbe des Lichtboten anzutreten? Nagende Zweifel machten sich bemerkbar. Aber als dann das heisere Krächzen des Raubvogels durch den Tempel hallte, schmolzen sie dahin wie Schnee in der Frühlingssonne. Wild mit den Flügeln schlagend, versuchte Horus, in die Höhe zu kommen. Noch gelang es ihm nicht, wohl weil der Bitterwolf ihn immer wieder mit der Schnauze anstieß und auf den Boden drückte.
    Lächelnd schaute Mythor den beiden zu. Er musste ihnen dankbar sein, denn ohne sie würde er wahrscheinlich noch immer in einer gefährlichen Traumwelt leben. Dass alle Einflüsse nur von der Schlange ausgegangen waren, war ihm mittlerweile klargeworden. Wie sie es allerdings geschafft hatte, ihr verhängnisvolles Spiel mit ihm zu treiben, wusste er nicht. Und er würde es wahrscheinlich auch nie erfahren.
    Sie hätte ihn schnell töten können, ohne ihm erst Unwirkliches vorzugaukeln. Aber vielleicht, schoss es Mythor durch den Kopf, war das Tier zuallererst an Futter für seine Nachkommenschaft interessiert gewesen. Vielleicht hätte es ihm noch endlos lange Tage ein erfülltes Liebesleben vorgegaukelt, bis die Eier von selbst aufgebrochen und die hungrige Brut geschlüpft wäre.
    An diesem Punkt angelangt, wischte er alle Überlegungen, die ohnehin zu nichts führten, beiseite und wandte sich dem Jungen zu, der sich langsam zu erholen schien. Tatsächlich richtete sich dieser nach einer Weile abrupt auf. Als sein Blick auf Mythor fiel, kam ein erschrockener Ausruf über seine Lippen. Er sprang auf und wollte davonlaufen, doch der Recke packte ihn und hielt ihn fest.
    »Wer bist du?« wollte Mythor wissen.
    Fast hatte er erwartet, keine Antwort zu erhalten. Sein Griff verstärkte sich noch.
    »Aua, du tust mir weh!« schrie der Junge.
    Mythor grinste. »Na also«, sagte er. »Ich wusste doch, dass du nicht stumm bist. Nun heraus mit der Sprache - ich habe dich etwas gefragt.«
    »Samed«, fauchte der Kleine. Es klang beinahe wie ein Fluch.
    »Samed, ist das dein Name?«
    »Ich sag's doch.« Wütend stampfte er mit dem Fuß auf.
    »Und wer war der andere dort unten?« wollte Mythor weiter wissen und deutete auf das halbzerstörte Nest. »Hast du zu ihm gehört?«
    In Sameds Augen trat plötzlich ein feuchter Schimmer. Schnell wandte er den Kopf ab, wohl um es sich nicht anmerken zu lassen.
    »Mein Vater«, schluchzte er. »Die Nadelschlange hat ihn erwischt.«
    »Das tut mir leid«, sagte Mythor und fuhr im gleichen Atemzug fort: »Eure Kleidung ist ungewöhnlich für diese Gegend. Woher kommt ihr?«
    »Aus. aus dem Norden.«
    »Woher?«
    »Eislanden.«
    Wieder verstärkte Mythor seinen Griff. Er bedauerte es, dem Jungen Schmerzen zufügen zu müssen, der nichts für das konnte, was geschehen war. Aber das Schicksal von Steinmann Sadagar, Nottr und Kalathee war ihm wichtiger. Immerhin schien es, als habe er hier eine brauchbare Spur gefunden.
    »Ich könnte dir jetzt zweifellos glauben, weil du ein so ehrliches Gesicht machst«, meinte er. »Andererseits aber habe ich es nicht gern, wenn man mich anlügt. Du gehörst zu einer Bande von Sklavenhändlern, die ich schon seit Tagen verfolge. Sowenig wie ihr mit meinen Freunden Erbarmen habt, genauso wenig habe ich es mit dir. Also überlege dir, was du mir sagst.«
    Der Junge war blass geworden, doch auch um vieles gesprächiger, wie sich sofort zeigte.
    »Ich fürchtete, deinen Zorn herauszufordern«, sagte er. »Aber nachdem du ohnehin alles weißt, zwingt mich nichts mehr dazu, zu schweigen. Immerhin gehöre ich nicht mehr Gomhels Bande an. Sie haben mich ausgestoßen und hilf los hier zurückgelassen, nachdem das mit meinem Vater passiert ist.«
    »Erzähl der Reihe nach!« forderte Mythor. »Ihr habt also meine Freunde überwältigt und gefangengenommen. Ist ihnen etwas geschehen? Und

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