Das Nest der Nadelschlange
offensichtlich, die Schlange anzugreifen. Ihr bösartiges Zischen wurde lauter.
Mythor vermochte kaum noch einen klaren Gedanken zu fassen. Ergeben wartete er auf den Augenblick, da der Stachel ihn berührte und seinem Leben ein Ende setzte.
Der heisere Schrei eines Raubvogels zerriss die Luft. Ein weißer Schemen stürzte sich herab, verharrte für einen kurzen Augenblick flügelschlagend und stieg dann steil wieder in die Höhe, um dem Zugriff fingerlanger Reißzähne zu entgehen.
Der fester werdende Druck um seinen Leib trieb Mythor die Luft aus den Lungen. Er stöhnte.
Endlich schien Hark seine natürliche Furcht vor der riesigen Schlange und der ihr anhaftenden unheilvollen Ausstrahlung überwunden zu haben. Der Bitterwolf sprang, riss im Fallen den Schwanz mit dem auf Mythor zuschnellenden Stachel mit sich, kam auf seinen Pfoten auf und wirbelte herum. Seine Zähne schlugen sich in das geschuppte Fleisch, und ein Schwall grünen Giftes spritzte über ihn hinweg.
Das Zischen der Schlange wurde bedrohlicher. Ihr Kopf ruckte herum, die gespaltene Zunge zuckte auf den Wolf zu.
Fast gleichzeitig fiel der Bann von Mythor ab. Die Gefahr wurde ihm erst jetzt richtig bewusst. Vergessen waren Syrina und seine Liebe zu ihr.
Das Knurren des Bitterwolfs und die Geräusche, die entstanden, wenn die Schlange ihren schweren Körper über die dürren Äste wälzte, konnten das Schluchzen nicht übertönen, das der Recke plötzlich zu hören glaubte. Im fahlen Dämmerschein erkannte er eine in sich zusammengesunkene menschliche Gestalt am Rand des Nestes. Sofort fiel ihm der Junge ein, dem er gefolgt war.
Der Schneefalke stieß erneut herab, hackte mit dem Schnabel nach den Augen der Schlange und war verschwunden, bevor diese ihn packen konnte. Der schmerzhafte Druck, der ihm eben noch alle Rippen zu brechen drohte, wich von Mythor. Die Umschlingung des Ungeheuers löste sich. Er bekam seine Arme frei und nutzte die Gelegenheit.
Hark hatte tiefe, blutende Wunden in den Schwanz des Ungeheuers gerissen. Eine peitschende Bewegung schleuderte ihn hoch. Er jaulte jämmerlich, als der Giftstachel ihn nur um Haaresbreite verfehlte.
Erneut wurde er von dem sich heftig windenden Körper schwer getroffen. Der Schneefalke stieß in dem Moment zu, als Hark den beiden Reißzähnen hilflos ausgeliefert war. Seine Krallen zerkratzten das eine Auge der Bestie, die sich blitzartig zusammenkrümmte. Aber das vorschnellende Maul fuhr ins Leere, denn Horus schwebte bereits wieder hoch über dem Nest.
Mit aller Kraft stemmte sich Mythor gegen die Windung des Schlangenkörpers, die ihn noch festhielt. Er spürte das Spiel der Muskeln unter den rauen Schuppen. Nun bekam er wenigstens wieder Luft. Seine Finger krallten sich fest, und mit schier übermenschlicher Anstrengung schaffte er es, sich nach unten hin aus der Umschlingung zu befreien.
Das Krächzen über ihm verstummte. Taumelnd verschwand Horus aus seinem Blickfeld, von dem mächtigen Schädel des Ungeheuers im Flug getroffen.
Mythor wusste, dass ihm kaum noch Zeit blieb. Als er nach Hark sah, schienen dessen Bewegungen bereits langsamer zu werden. Der Bitterwolf wich dem Blick der Schlange nicht mehr aus.
Alton! Gleichzeitig mit dem Gedanken an sein Schwert sah der Kämpfer der Lichtwelt dessen Leuchten mehr als fünfzehn Schritt von ihm entfernt, unter angehäuftem Laub verborgen.
Während er sich noch verzweifelt bemühte, auf dem schwankenden Boden nicht zu stürzen, verstummte Harks Knurren. Auch der Junge hörte auf zu schluchzen. Eine bedrückende Stille breitete sich aus. Beinahe greifbar schien die Nähe des Todes.
Mythor ließ sich davon nicht ablenken. Auch die drei weißen, halb mannsgroßen Gebilde, an denen er vorbei musste, interessierten ihn nicht, obwohl er sah, dass sich in ihrem Inneren etwas bewegte.
Endlich hatte er seine Waffen erreicht. Alton schien hell aufzuflammen, als er es in die Hand nahm, und der Helm der Gerechten ließ ein drängendes Flüstern hören.
Kam er zu spät? Mythor sah den Bitterwolf wie erstarrt stehen. Nur eine Handspanne vor dem Tier pendelte der Kopf der Schlange hin und her. Und von der Seite näherte sich ihm der Giftstachel.
Mit einem Aufschrei stürzte der Krieger vorwärts. Das Gläserne Schwert verbreitete einen hellen Schein und ließ ein Klagen hören wie nie zuvor.
Zischend wandte die Schlange sich dem neuen Gegner zu. Ein Schauder erfasste Mythor, als er in die riesigen Augen blickte, von denen das eine nun trüb war
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