Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Nest der Nadelschlange

Das Nest der Nadelschlange

Titel: Das Nest der Nadelschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
Vom Netzwerk:
Muttertiers erloschen nur wenig später.
    Immer heftiger zitterte nun das Nest, ausgelöst von dem sich windenden Körper. Es wurde schwerer, sich auf den Beinen zu halten.
    Endlich erwachte der Bitterwolf aus seiner Starre. Er blickte erst seinen Herrn an und dann hinauf zum Nestrand, der mehr als zwei Mannslängen hoch lag. Aber seine Pfoten fanden in den miteinander verflochtenen Ästen keinen ausreichenden Halt, und sooft er an der schrägen Wand hochsprang, fiel er wieder zurück.
    »Du hast recht, Hark«, murmelte Mythor. »Wir müssen dort hinauf. Je schneller, desto besser. Aber nicht ohne mein Pergament und den Jungen.«
    Suchend sah er sich um. Dort drüben hatten Helm und Schwert gelegen. Wenn er davon ausging, dass alles unwirklich gewesen war, was mit Syrina zusammenhing, auch ihr prunkvolles Gemach, dann hatte dort das kleine Tischchen neben dem Wasserbecken gestanden. Von da aus fünf Schritte nach rechts.
    Da lag das Pergament. Mythor fiel ein Stein vom Herzen, als er es unbeschädigt vorfand. Sein Verlust wäre so ziemlich das Schlimmste gewesen, was ihn hätte treffen können. Bevor er es wieder unter seinem Wams verbarg, sah er es noch einmal an. Diese Augen, dieses wunderbare Haar. War Syrina wirklich ihr Name?
    Er würde sie finden, das wusste er, selbst wenn er sein Leben lang nach ihr suchen musste .
    Nur wenige Schritte von ihm entfernt brach das Nest auf. Äste von der Stärke eines Armes verschwanden in einer unergründlichen, düster gähnenden Tiefe und mit ihnen der abgeschlagene Kopf des Ungeheuers. Von irgendwoher erklang erneut das Poltern einstürzender Mauern. Der Boden schwankte heftiger.
    Mythor wandte sich dem Jungen zu, der sich ängstlich an die Wand drückte. »Du brauchst dich nicht zu fürchten«, sagte er. »Ich will dir helfen.«
    Er erhielt keine Antwort. Statt dessen begann der Knabe erneut zu schluchzen.
    Mythor blieb keine Zeit. Er schob Alton in den Gürtel und packte mit beiden Händen zu. »Komm her zu mir, Hark!« rief er, während er sich den Jungen über die Schulter warf und prüfend an der Nestwand zog. Einen anderen Weg nach oben gab es nicht.
    Das Geflecht bog sich zwar unter seinem Gewicht durch, hielt aber stand. Jaulend kam der Bitterwolf heran. Mythor sah, dass er den rechten Hinterlauf ein wenig nachzog.
    Aus eigener Kraft würde Hark sich nicht in Sicherheit bringen können. Der Krieger nahm ihn ebenfalls hoch und legte sich ihn vor die Brust auf die Oberarme. So würde das Klettern zwar zur Qual werden und nicht ganz ungefährlich, aber das Tier war ein zu wertvoller Kamerad, als dass er es unnötig der Gefahr aussetzen durfte. Zudem schien der Wolf zu spüren, dass er sich ruhig verhalten musste. Eng schmiegte er sich an Mythor und schuf ihm damit ein wenig mehr Bewegungsspielraum.
    Der Krieger musste die Erfahrung machen, dass die schräge Wand nicht so leicht zu überwinden war, wie er anfangs geglaubt hatte. Unzählige dornenbewehrte Zweige inmitten des widerstandsfähigen Geflechts sollten wohl mögliche Opfer an einer Flucht hindern. An ihnen riss er sich die Hände blutig, sie drangen durch seine Kleidung hindurch und zerkratzten ihm Arme und Beine.
    Es waren nur wenige Schritt Höhenunterschied, die es zu überwinden galt, aber sie wurden zur Qual. Mythor hatte den Rand beinahe erreicht, als unter ihm das halbe Nest abbrach und in einer bodenlosen Tiefe verschwand. Für einige Augenblicke schwankte das ganze Gebilde so heftig, dass er meinte, den Halt zu verlieren. Aber dann ebbten die Erschütterungen zum Glück ebenso schnell ab, wie sie aufgetreten waren.
    Kurze Zeit später erklang von unten herauf ein fast unhörbares Platschen. Mythor stieß Hark gerade über den Nestrand hinweg und zog sich selbst hinterher. Schwer atmend blieb er liegen. Sein Blick irrte ziellos über brüchigen, verschmutzten
    Marmor. Einige geborstene Säulen erhoben sich in unmittelbarer Nähe. Zu ihnen führten kreisförmig angelegte Stufen hinauf. Mythor glaubte daraus schließen zu können, dass die Schlange ihr Nest zum Teil ausgerechnet über einem alten Brunnenschacht errichtet hatte.
    Was blieb, war die quälende Frage nach der unbekannten Schönen. Ihr Geheimnis hatte er nicht lösen können. »Syrina«, murmelte der Krieger. Aber diesmal war der Klang ihres Namens ernüchternd.
    Durch das an vielen Stellen geborstene und eingestürzte Dach des Tempels sah Mythor den wolkenverhangenen Himmel über sich. Ein heller Schimmer kündete von der heraufziehenden

Weitere Kostenlose Bücher