Das Netz Der Grossen Fische
insgeheim befürchtet, als er begonnen hatte, sie zu küssen, dass sie, während sie in seinen Armen lag, eine Geste machen könnte, eine Bewegung, eine stumme, nie zuvor bei früheren intimen Begegnungen gestellte Forderung, kurz gesagt: etwas, das den intensivsten Augenblicken ihres Lebens mit dem anderen Mann angehörte. Doch nichts dergleichen. Als sie mit Massimo zusammen war, hatte sie damit keine Parenthese geschlossen. Möglicherweise hatte sie all das ausgelöscht, was sie für Massimo empfunden haben mochte, doch diese Parenthese war immer offen geblieben.
Michele stand auf und ging ins Bad. Seine Sachen befanden sich alle an ihrem Platz, als hätte er diese Wohnung niemals verlassen. Eine tiefe Rührung ergriff ihn so unversehens, dass seine Beine nachgaben und er sich auf den Wannenrand setzen musste.
Gleich darauf rief er Cate vom Telefon in seinem Arbeitszimmer an.
»Heute Vormittag komme ich nicht ins Büro. Wenn ihr mich braucht, ruft mich auf dem Handy an.«
»Geht es Ihnen nicht gut, Direttore? Gestern konnte man Ihnen ansehen, dass …«
»Ich glaube, ich habe eine leichte Grippe.«
Er legte auf.
»Michè!«
Giulia war aufgewacht und rief nach ihm. Er kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo sie sich im Bett aufgesetzt hatte und die Arme nach ihm ausstreckte.
Später flüsterte sie ihm ins Ohr:
»Ich habe der Haushaltshilfe gesagt, sie braucht heute nicht zu kommen. Und ich habe keine Termine.«
»Ich auch nicht«, sagte Michele.
Sie verbrachten den ganzen Tag zu Hause. Sie aßen, was sie im Kühlschrank fanden oder was Giulia zubereiten konnte. Sie war nämlich nicht gerade eine begnadete Köchin. Keiner rief ihn an, ein Zeichen dafür, dass in der Redaktion alles glattlief.
Am Abend wollte Michele das letzte Nachrichtenjournal sehen, das jetzt von Pace moderiert wurde. Gleich die ersten Worte, die er hörte, überraschten ihn.
Heute Nachmittag um achtzehn Uhr haben der Questore und Commissario Lo Bue der Presse eine wichtige Mitteilung gemacht. Wir senden die Aufzeichnung ungekürzt.
Man sah das Zimmer, in dem gewöhnlich Journalisten und Fernsehteams bei wichtigen Anlässen empfangen wurden. Hinter dem Tisch saßen der Oberstaatsanwalt, der Questore und Lo Bue. Als Erster sprach der Oberstaatsanwalt.
Danke, dass Sie gekommen sind. Zu unserer tiefsten Genugtuung können wir Ihnen mitteilen, dass der Mordfall der Studentin Amalia Sacerdote als aufgeklärt betrachtet werden kann.
Die Journalisten reagierten überrascht und murmelten laut, einer stand auf und wollte eine Frage stellen, doch der Oberstaatsanwalt ergriff wieder das Wort.
Das verdanken wir der Zähigkeit und Intelligenz von Dottor Lo Bue, dem es gelang, den Ermittlungen eine entscheidendeWende zu geben. Ich erteile jetzt dem Herrn Questore das Wort.
Der Polizeipräsident sah keineswegs so zufrieden aus, wie man hätte erwarten können. Ja, er wirkte vielmehr ausgesprochen nervös. Er beschränkte sich darauf zu sagen:
Ich ziehe es vor, das Wort an Dottor Lo Bue weiterzugeben, der einen Fall so glänzend löste, bei dem es leider zunächst keine konkreten Resultate zu geben schien.
Lo Bue blickte ihn leicht erstaunt an, dann begann er zu sprechen.
Wie Sie sicher wissen, sind die in der Wohnung von Amalia Sacerdote gefundenen Notizbücher verloren gegangen. Doch Dottor Di Blasi, der Staatsanwalt, der sich mit dem Fall beschäftigt hatte, konnte vorher noch einen Blick hineinwerfen. Und an den einen oder anderen Namen, den er darin gelesen hatte, erinnerte er sich. Als wir die Eigentümer der Wohnung befragten, in der die junge Frau gelebt hatte, bevor sie in die Wohnung umzog, in welcher sie ermordet wurde, haben wir erfahren, dass Amalia einen Geliebten hatte, der sie in Abwesenheit ihres Verlobten besuchte. Sie haben ihn uns sehr genau beschrieben, denn sie waren ihm mehrere Male begegnet. Es handelte sich bei ihm um eine mir bekannte Person. Leider war die junge Frau einem vierzigjährigen Kriminellen ins Netz gegangen, dem sie hörig war. Dieser Mann stellte seinen Reichtum durch Autos der Luxusklasse zur Schau und lebte auf großem Fuß. Ich habe Dottor Di Blasi gefragt, ob er sich an einen bestimmten Namen erinnere, der in den Notizbüchern aufgetaucht war. Und das konnte er. Dieser Name, Stefano Ficarra, der ihm nichts sagte, sagte uns dagegen sehr viel. Im Einvernehmen mit dem Oberstaatsanwalt haben wir den vorgenannten Ficarra in die Questura einbestellt. Und beidieser Gelegenheit haben wir ihn mit seiner
Weitere Kostenlose Bücher