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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gekommen.
    Der Lavastrom! Sie hatte doch zuvor einen Abgrund überquert, aus dessen Tiefe bedrohlich ein rotgelbes Glühen herauffunkelte. Das Ei in diesen Strom zu werfen, wäre vielleicht etwas zu viel des Guten, aber wenn die Höhle vulkanischen Ursprungs war, dann würde sie möglicherweise noch andere, warme Orte finden, an denen sich das Ei ausbrüten ließ, ohne dass es gleich gar gekocht wurde.
    Nun wurde Stella sehr geschäftig. Sie setzte unsanft ihren Teller mit dem verwüsteten Sandwich auf dem Schreibtisch ab, entledigte sich der Kopfhörer und des Handschuhs und sprang aus dem Stuhl. Hinter ihr stand der Schrank, in dem sie verschiedenes Computerzubehör aufbewahrte. Sie öffnete die Tür. Ihre Augen durchsuchten das Gewirr aus Steckern, Kabeln und allen möglichen elektronischen Gerätschaften. Immer wenn Salomon einen neuen Prototyp entwickelt hatte, war Stella sein »Versuchskaninchen«. Sie testete seine technischen Neuerungen, die dem, was man im Laden kaufen konnte, in der Regel zwei bis drei Jahre voraus waren. Ihre Hände hoben ein Knäuel aus Kabeln an, schoben ein Rudel von Mäusen beiseite. Salomons Erfindungsreichtum verdankte sie auch die ungewöhnliche Ausstattung ihres PCs, den Datenhandschuh und… die VR-Brille!
    Endlich hatte sie sie gefunden. Stella befreite das wertvolle Stück aus der Verschlingung mit einem Interlink-Kabel. Durch diese Sehhilfe konnte man sich in der virtuellen Realität (abgekürzt: VR) orientieren. Stella ließ sich wieder in ihren Bürostuhl fallen, setzte sich die Kopfhörer auf, zog den Datenhandschuh über und platzierte zuletzt die VR-Brille auf der Nase. Vor jedem ihrer Augen befand sich nun ein kleiner Farbbildschirm aus Flüssigkristallen, der so geformt war, dass man von der wirklichen Welt praktisch nichts mehr mitbekam. Die Illusion war perfekt!
    »Du bist ein Genie«, flüsterte Stella, womit sie ihren abwesenden Vater meinte. Er hatte sogar daran gedacht, die VR-Brille ins Spiel einzubinden. Stella konnte den Blickwinkel nun durch die Bewegungen ihres Kopfes verändern. Wie im realen Leben war sie imstande sich im dreidimensionalen Raum ungehindert umzusehen sowie nach oben oder unten zu schauen, ohne dazu wie bisher die Position ihres virtuellen Körpers durch den Einsatz des Datenhandschuhs verändern zu müssen. So war sie noch beweglicher.
    Stella begann sogleich die benachbarten Höhlengänge zu erkunden. Mit ihrem VR-Handschuh konnte sie Markierungen in die Höhlenwände ritzen, um später daran entlang zum Ei zurückzukehren.
    Wieder verging eine für Stella schwer abschätzbare Zeitspanne, bis sie endlich fündig wurde. Sie hatte eine Quelle entdeckt! Bestimmt war das Wasser warm und gewiss konnte sie darin das Ei ausbrüten. Nachdenklich musterte Stella das runde, erstaunlich glatte Becken, in dem das klare Nass an die Oberfläche trat. Immer wieder stiegen dicke Gasblasen auf. Menschen umgaben wichtige Quellen gerne mit steinernen Einfassungen. Ähnlich verhielt es sich hier, wobei diese Riesenschüssel wohltuend schlicht ausfiel. Am gegenüberliegenden Ende des Beckens entdeckte Stella einen Abfluss. Hörbar rauschte das Wasser durch die Öffnung und verlor sich dann als Bachlauf in der Dunkelheit.
    Stellas Verstand arbeitete auf Hochtouren. Das abgeflachte Bassin schien ein idealer »Eierbecher« zu sein – Brutbehälter war vielleicht der passendere Ausdruck. Doch woher sollte sie wissen, ob das Wasser in dem Becken die richtige Temperatur besaß? Ihr VR-Handschuh konnte leider noch keine Wärmeunterschiede spürbar machen. Da bemerkte sie die Pflanzen.
    Auf der anderen Seite der steinernen Schale schimmerten breite Halme unter der Wasseroberfläche. Wenn in deren Nähe eine Blase aufstieg, bewegten sie sich sogar. Also konnten hier Pflanzen gedeihen! Stella beschloss es mit dem Höhlenteich zu versuchen. Ihren Markierungen folgend, kehrte sie, ohne sich ein einziges Mal zu verlaufen, zum Ei zurück.
    Als sie wieder vor der graubraunen Schale stand, wurde ihr bewusst, dass es da noch ein weiteres Problem gab. Wie sollte sie das riesige Ei durch die Tunnel und Gänge bis zu dem Bruttümpel befördern? Stella grübelte. Ein VW-Bus ließ sich ja auch nicht so einfach huckepack nehmen und ein paar Querstraßen weiter tragen. Schon allein der inneren Logik des Spiels nach durfte dies nicht möglich sein. Salomon würde sich einen solchen Patzer niemals erlauben.
    Stella versuchte es dennoch. Sie legte die Hand an das Ei und schob. Obgleich

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