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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den Ausgang, der in den grünen Innenhof des Campus führte. Er sah auf die Armbanduhr. Sternchen musste längst zu Hause sein. Aus dem versprochenen gemeinsamen Mittagessen war nichts geworden. Vermutlich hatte sie längst eines ihrer nitratgeschwängerten, nährstofflosen, fast völlig aus künstlichen Farb- und giftigen Konservierungsstoffen bestehenden Sandwiches zusammengebaut und verabreichte sich dieses nun in kleinen Dosen. Das machte sie nur, um ihn zu treffen. Stella wusste schon, wo er am empfindlichsten war.
    Mark eilte mit wehenden Rockschößen unter den ehrwürdigen Bäumen des Campus entlang. Das neue Physikgebäude lag gleich gegenüber. Der Weg war mit gelben Flecken gesprenkelt. Das Blätterdach der Bäume glühte an diesem schönen Maitag unter der strahlenden Sonne in den verschiedensten Grüntönen. Doch für all das hatte Mark keinen Blick. Längst hätte er bereits die TU durch die Vordertür verlassen haben können. Aber er musste ja unbedingt kurz vor Beginn der Vorlesung noch Professor Rass in die Arme laufen! Der grauhaarige Physiker hatte dem jungen Informatiker für die schnelle und institutsübergreifende Hilfe gedankt, ohne welche die Veranstaltung hätte ausfallen müssen. Nachdem Mark wieder einmal vom Charme des altgedienten Wissenschaftlers dahingerafft worden war, hatte dieser ihm noch schnell einen Packen Unterlagen für die Kollegen im Institut für Theoretische Physik in die Hand gedrückt. Mark war ein höflicher Mensch. Er hatte gelächelt. Der Neubau läge nicht gerade auf seinem Weg, aber es sei überhaupt kein Problem, noch schnell hinüberzugehen und die Dokumente im Sekretariat abzuliefern.
    Hinterher hätte er sich am liebsten geohrfeigt. Nun war er selbst einer der angesehensten Professoren der ganzen Universität, und nur wegen eines Altersunterschieds von ein, höchstens zwei Jahrzehnten glaubten die Kollegen ihn als Laufburschen einsetzen zu können. Am meisten ärgerte er sich jedoch über seine eigene Gutmütigkeit. Es war immer das Gleiche: Erst konnte er einfach nicht Nein sagen, und am Ende musste es dann seine Familie ausbaden. Zum Glück hatte er die Notbremse gezogen. In gut zwei Monaten war die Vorlesungszeit des Sommersemesters vorüber. Dann würde sich vieles entspannen. Er gönnte sich ein erleichtertes Aufatmen – gewissermaßen als Vorschuss auf seine zukünftige Tätigkeit als selbstständiger Unternehmer. Bald würde für ihn ein neues Leben beginnen.
    Gerade als Mark durch die Tür zum Physik-Neubau schießen wollte, stellte sich ihm eine junge Frau in den Weg, eigentlich eher noch ein Mädchen. Sie sah aus wie höchstens neunzehn, hatte rotblonde Haare und besaß ein hübsches, vielleicht etwas burschikoses Gesicht.
    »Hallo, Salomon«, begrüßte sie den Professor. »Dacht ich’s mir doch, dass ich Sie hier treffen würde.«
    Mark sah die Studentin an, als sei er gerade aus tiefem Schlaf erwacht. Er kannte sie nur zu gut. Sie war seine Lieblingsschülerin, und weil er sie inzwischen wie eine diplomierte Assistentin behandelte, war zwischen den beiden so etwas wie ein kameradschaftliches Verhältnis entstanden. Im Institut für Kommunikations- und Softwaretechnik war Jessica Pollock seine größte Hoffnung. Ein wahres Naturtalent in der Kryptographie!
    »Jessi, ich habe Sie gar nicht bemerkt.«
    »Das bin ich nun schon von Ihnen gewohnt.« Jessica lachte. Dabei zeigten sich zwei tiefe Grübchen auf ihren Wangen.
    »Ich habe wirklich keine Zeit, Jessi. Ich muss die Dokumente hier noch im Sekretariat abgeben und dann schnellstens nach Hause. Meine Tochter hat Hunger, und ich bin nicht da.«
    »Müssen Sie sie denn füttern?«
    »Unsinn, Stella ist sechzehn!«
    »War nur ein Scherz.«
    Mark blinzelte verwirrt. »Seien Sie mir nicht böse. Ich bin praktisch schon nicht mehr da.«
    »Sie sehen aber noch sehr präsent aus, Professor Kalder. Falls ich die Unterlagen für Sie abliefere, darf ich Ihnen dann jetzt und hier eine Frage stellen?«
    Mark atmete erleichtert auf. »Das wäre wirklich nett, Jessi. Worum geht’s denn?«
    »Um die jüngsten Gerüchte von den Cyberpunks. Es heißt, sie hätten eine ›Abkürzung‹ für den Blowfish-Algorithmus gefunden.«
    »Sie kennen meine Meinung dazu. Ihre Hacker-Kollegen brauchen genauso Publicity wie diejenigen, die sich die Verschlüsselungsmethoden ausdenken. Ich glaube nicht, dass an der Sache was dran ist.«
    »Ohne es vorher geprüft zu haben?«
    »Weder die Cyberpunks noch unsere Cracker von Digicrime

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