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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Händen vor einer Lampe eine fliegende Taube formte und diese Figur als Schatten an die Wand geworfen wurde, dann war das ein Kagee .
    Plötzlich tat sich vor Stella eine Höhle auf. Das Bild füllte den ganzen Monitor aus. Es war dreidimensional und wirkte ungemein plastisch. Weit oben in der Höhlendecke musste es eine Öffnung geben, ein gleißender Sonnenstrahl durchschnitt den Raum und bohrte sich in den steinernen Boden. Die Lautsprecher, die zu beiden Seiten des Bildschirms angebracht waren, verbreiteten leise sphärische Musik. Aufgeregt griff Stella nach den Kopfhörern, um den Eindruck, Teil dieses Spiels aus Licht und Schatten zu sein, noch zu verstärken. Der schwebende Klang war nun mitten in ihrem Kopf. Mehr als nur eine bestimmte Abfolge von Tönen wirkte er auf sie wie eine verführerische Einladung in eine andere Dimension und ließ so das Bild, welches die Augen wahrnahmen, nur noch realistischer erscheinen.
    Als Stella die Maus bewegte, wurde am Bildschirm ein Symbol sichtbar, wie es in der Mitte einer Spielkarte, genauer gesagt, eines Pikass zu finden ist. Das Pik stand auf dem Kopf und sein Stiel war etwas länger als gewöhnlich. Wenn man das Symbol – es handelte sich natürlich um den Mauszeiger des Kagee – an den Bildschirmrand schob, veränderte sich der Blickwinkel, ein bisher nicht einsehbarer Teil der Höhle tat sich auf. Viele Spiele funktionierten so. Stella trat sofort einen Rundgang durch die Höhle an und begann schon bald ein Gefühl für die Ausmaße des Gewölbes zu entwickeln.
    Die bizarren Felsformationen ließen auf eine gewaltige Grotte schließen. Imponierende Grate und Spalten wechselten mit Durchlässen und Tunneln in weitere Höhlenteile ab. Sie konnte sogar durch das Drehen eines Rädchens, das sich an ihrer Computermaus befand, ihren Blick nach oben oder nach unten lenken. Zu ihren Füßen gab es nur kahlen Fels, aber über sich entdeckte sie ein gezacktes Loch mit einem Stück Himmel, an dem immer wieder Vögel vorbeizogen… Nein, keine Vögel. Die Silhouetten waren seltsam… Es musste sich um fliegende Echsen handeln, Pteranodons oder andere Flugsaurier.
    Stella widmete sich wieder der Höhle. Da der riesige Felsraum wenig Aufregendes bot, beschloss sie die Höhlengänge zu erkunden. Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, schob sie sich eine Gurkenscheibe in den Mund und entschied sich für ein Felsentor, von dem ein kaum wahrnehmbarer Schimmer ausging. Als sie das Pik mitten in die leicht fluoreszierende Öffnung schob, begann es ebenfalls zu glimmen.
    »Da versteckst du dich also«, flüsterte Stella. Sie kannte sich mit Computerspielen aus. Da gab es jene, bei denen man eine möglichst große Zahl von irgendetwas mit einer Waffe erledigen musste – Stella verabscheute Ballerdramen. Andere Games luden zum Knobeln ein oder verlangten Geschicklichkeit im Umgang mit der Maus oder dem Joystick – für Stella meist Auslöser von Gähnattacken. Und dann waren da noch die Abenteuerspiele. Man konnte sich in fremde Welten versetzen und musste dort mehr oder weniger schwierige Aufgaben lösen. Die besten dieser Programme forderten alles vom Spieler, seine Geschicklichkeit, sein Wissen, seine Phantasie und natürlich seine Zeit.
    Nicht selten hatte erst Vivianes energisches Eingreifen bewirkt, dass ihre Tochter aus einer dieser phantastischen Welten wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt war. Doch jetzt befand sich Mutter mehr als sechstausend Kilometer weit weg. Stellas Phantasie aber – im Laufe der zurückliegenden Jahre durch Dutzende von Abenteuerbüchern, Heldenepen, Rittergeschichten und Fantasyromanen geschult – verlangte hier und jetzt nach neuer Nahrung. Ihre Vorstellungskraft gab den Bildern auf dem Monitor Tiefe und Leben, die Welt des Kagee war für Stella nun nicht mehr virtuell, also nur dem Anschein nach echt. Für sie wurde die Höhle, durch die sie wanderte, innerhalb weniger Minuten zur einzig wahren Welt.
     
     
    Das Leben im Reich des Kagee war ein ständiger Kampf. In diesem Höhlenreich gab es keine asphaltierten Straßen und auch keine U-Bahn. Um tiefer in das Labyrinth aus Gängen und Gewölben einzudringen, musste Stella unablässig neue Hindernisse überwinden: einen Abgrund, in dessen Tiefe ein feuriger Lavastrom brodelte, einen unterirdischen See, aus dem dicke Blasen aufstiegen, einen wuchernden Garten, dessen Pflanzen Jagd auf sie machten, schließlich eine Höhle, von deren Decke messerscharfe Stalaktiten herabfielen – eben das

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