Das Netz der Schattenspiele
bald zwanzigjährigen Universitätslaufbahn.
Anfangs hatte ihn die Bionik gefesselt, jene Wissenschaftsrichtung, die sich hauptsächlich die »Konstruktionspläne« der Tiere als Vorbild nimmt, um bessere Düsentriebwerke, Tragflächen oder Bootsrümpfe zu entwickeln. Dann war Mark in den Bann des wohl faszinierendsten menschlichen Organs geraten: des Gehirns.
Er wollte unbedingt seine Funktionsweise verstehen lernen und, wenn möglich, sogar mit einem Computer nachbilden. Daher widmete er sich jahrelang der Entwicklung von neuronalen Netzen. Je tiefer er sich jedoch in die Wunder der Natur hineinarbeitete, umso klarer wurde ihm, wie armselig die Möglichkeiten eines Computers im Vergleich zum Gehirn des Menschen waren und noch auf Jahrzehnte hinaus bleiben würden.
Die Frustration darüber verunsicherte Mark und ließ ihn zwei Jahre lang auf wissenschaftliche »Nebenwege« geraten. Jene, die seine akademische Laufbahn verfolgten, mochten das vielleicht anders sehen. Mark beschäftigte sich in dieser Zeit mit der Biometrie. Diese Wissenschaft erforscht, in welchen persönlichen Merkmalen sich Menschen voneinander unterscheiden und wie man diese Kriterien technisch auswerten kann. Ein praktisches Forschungsergebnis der Biometrie ist zum Beispiel der elektronische Pförtner, der einen Menschen an seiner Gesichtsform, dem Stimmprofil, den Fingerabdrücken, seiner Iris oder Netzhaut identifizieren kann. Obwohl Marks Engagement in diesem Wissenschaftszweig eher kurz ausfiel, erzielte er doch beachtliche Erfolge. Er hatte maßgeblichen Anteil an der Entwicklung eines Systems, dem er den märchenhaften Namen S.E.S.A.M. gab, Marks Akronym für die komplizierte Bezeichnung »Synergetische Erkennung mittels Standbild, Akustik und Motorik«. Ein – nicht immer ganz zuverlässiger – Prototyp dieses elektronischen Torwächters überwachte den Zugang zu seinem eigenen Haus. Später wurde Marks Entwicklung unter dem Namen BioID von der Berliner Firma DCS AG zur Marktreife gebracht.
Die Erfolge in der Biometrie konnten für Mark nicht die Leere füllen, welche die Ernüchterung bei seinen Forschungen auf dem Gebiet der neuronalen Netze hinterlassen hatte. Doch in gewisser Hinsicht wurden in dieser Zeit die Weichen für das Danach gestellt. Zu Beginn seines dritten Biometrie-Jahres kam es zu einem fast schon banalen Vorfall: Ein Computerfreak aus Schweden hatte sich in das Campusnetz der TU eingeschlichen. Dem Hacker war es gelungen, etliche Zugangscodes herauszubekommen und dann einiges Durcheinander anzurichten. Eher durch Zufall wurde Mark in die Diskussion um einen zuverlässigen Schutz für die zahlreichen untereinander vernetzten Computer der Universität hineingezogen. Lehranstalten wie die TU sind natürlich um weitestgehende Offenheit bemüht. Wie konnte man sich da wirkungsvoll vor Übergriffen von Hackern schützen?
Mark Kalder war von dieser Fragestellung fasziniert. Er wusste natürlich, dass jede neue Verschlüsselung, die sich ein begnadeter Kryptograph ausdachte, und jedes neue Sicherheitssystem, das mit viel Aufwand entwickelt wurde, nur so lange Bestand hatten, wie ein mehr oder weniger genialer Cracker benötigte, um sie zu knacken.
Die Zeitabstände zwischen Einführung und Überwindung der jeweiligen Schranken waren oft genug erschreckend kurz. Unzählige Beispiele belegten diese Tatsache. Selbst amerikanische Behörden wie der Geheimdienst CIA oder das Pentagon, das Verteidigungsministerium, waren schon Opfer von Hackerangriffen geworden.
Man müsste ein System entwickeln, das einerseits alle Tricks der Hacker kannte, zugleich aber über die Flexibilität und Kombinationsgabe des menschlichen Gehirns verfügte, um auch völlig neuartige Angriffsvarianten entdecken und selbstständig Strategien zu deren Abwehr finden zu können. Eigentlich war diese Idee nur eine konsequente Fortsetzung all jener Forschungen, die Mark in den Jahren zuvor betrieben hatte.
Bald entwickelte er selbst »Viren«, die einzelne Computer befallen konnten, »Würmer«, die sich von allein in Computernetzwerken verbreiteten, und einige andere »giftige« Spezies, die einem elektronischen Organismus ebenso wirksam den Garaus machen konnten wie das Ebolafieber dem menschlichen. Das alles diente zunächst nur einem Zweck: der Erprobung von S.K.U.L.L. Natürlich stammte auch dieser Name aus Marks Akronymen-Schmiede. Er stand für Security Keeping Universal Learning Lock, also etwa für ein die »Sicherheit gewährendes, universell
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