Das neue Evangelium
das heute bekannte Barnabas-Evangelium irgendetwas mit dem im 4. Jahrhundert bekannten apokryphen Evangelium zu tun hat, höchst spekulativ. Die Berufung auf eine Legende, die zudem umgedeutet und verändert wird, ist es nicht minder.
Interne Bezüge des Evangeliums selbst belegen deutlich, dass es aus dem Spätmittelalter stammt. In unserem Roman ist beides verknüpft: die spektakuläre Entdeckung in Zypern, die es vermutlich nie gegeben hat, und das heute unter dem Namen Barnabas-Evangelium bekannte Buch, das erst viel später entstanden ist und mit dem legendären Buch aus Zypern nichts zu tun hat.
Die wahre Entdeckungsgeschichte
Über das uns bekannte Barnabas-Evangelium kann man nur Folgendes als gesicherte Erkenntnis festhalten: Das Werk taucht zum ersten Mal im Besitz von J. E. Cramer auf, einem Berater des preußischen Königs, der es 1713 dem Prinzen Eugen von Savoyen vermacht. 1738 kommt es in die Wiener Hofbibliothek, wo es sich noch heute (Cod. 2662 Eug.) befindet. Dieses Manuskript ist in Italienisch verfasst, daneben gibt es noch zwei Handschriften in Spanisch aus dem 18. Jahrhundert. Es gibt bis heute kein griechisches oder aramäisches Original, nicht einmal eine einzige Zeile als Zitat bei einem der alten Kirchenväter.
Die erste europäische Druckausgabe nach der Wiener Handschrift, besorgt von Lonsdale und Laura Ragg, erschien 1907 bei der Oxford University Press, die erste arabische Ausgabe 1908 in Kairo. Seitdem ist das Barnabas-Evangelium, vor allen bei den Muslimen, populär.
Die Besonderheiten des Barnabas-Evangeliums
Das Barnabas-Evangelium erzählt die Lebensgeschichte Jesu in Anlehnung an die vier bekannten und authentischen Evangelien. Allerdings besitzen hier die Wunder, die Aussagen und die Person Jesus einen ganz anderen Stellenwert als in den christlichen Evangelien.
Das Evangelium beginnt mit einer theologischen Aussage, die in dieser Form recht ungewöhnlich ist:
»Barnabas, Apostel von Jesus dem Nazarener, der Christus genannt wird, an alle, die auf der Erde leben und Frieden und Trost verlangen.
Der große und wunderbare Gott hat uns in den letzten Tagen durch seinen Prophet Jesus Christus besucht. […] Viele, von Satan in die Irre geleitet, […] predigen eine umfromme Lehre, nennen Jesus den Sohn Gottes, lehnen die von Gott für immer verordnete Beschneidung ab und erlauben sogar unreines Fleisch: unter ihnen wurde sogar Paulus in die Irre geleitet. Ich spreche nur in Trauer darüber, daher schreibe ich die Wahrheit, die ich gesehen und gehört habe, da ich doch Umgang mit Jesus hatte, damit ihr erlöst und nicht vom Satan in die Irre geführt und im Urteil Gottes vernichtet werdet. Nehmt euch also in Acht vor denen, die neue Lehren predigen, die dem widersprechen, was ich schreibe, damit ihr in Ewigkeit gerettet werden möget.«
Zwar hatte es zwischen den Aposteln Streit darüber gegeben, ob zum Christentum bekehrte Heiden zuerst Juden werden sollten (d. h. dass sie sich hätten beschneiden lassen und die jüdischen Speisevorschriften beachten müssen); doch diese Frage wird in der Apostelgeschichte, die von den ersten Jahren der Heidenmission berichtet, nicht explizit erörtert. Die Christen, die den von Paulus und Petrus gewählten Kurs ablehnten, wurden von Jakobus, dem Bruder Jesu, geleitet. Sie zogen sich 66 n. Chr. nach Arabien zurück – und spielten für den Fortgang der Ereignisse keine Rolle mehr.
Barnabas aber war ein Gefolgsmann des Paulus. Es ist daher kaum anzunehmen, dass er sich gleich zu Beginn seines Evangeliums nicht nur gegen Paulus stellt, sondern ihn sogar als vom Satan verführt beschreibt.
Und noch etwas: Während alle Strömungen des Christentums die Beschneidung und die Speisevorschriften ablehnten, gab es eine arabische Reformbewegung – den frühen Islam –, die ein Christentum predigte, das beides für unverzichtbar erachtete und gleichzeitig die Gottessohnschaft Jesu vehement verneinte. Was in der Einleitung des Barnabas-Evangeliums kurz aufscheint, zeigt die weitere Lektüre immer deutlicher: Dieses Evangelium stellt Jesus aus islamischer Sicht dar.
Schon aufgrund dessen muss man bezweifeln, dass es sich um einen frühen, authentischen Text handelt. Auch kennen die kanonischen Evangelien keinen Jünger Jesu namens Barnabas.
Hinzu kommt, dass der Text erstaunliche historische Fehler enthält, die einem jüdischen Autor, zumal einem, der aus dem Heiligen Land stammt, kaum unterlaufen wären. So wird in Kapitel 145
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