Das neue Evangelium
aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, der Zeit also, in der unser Roman spielt. Aber wer schrieb es? Ein Mensch jedenfalls, der die Evangelien gut kannte, aber muslimischen Glaubens war, der zugleich auch mit der europäischen Literatur seiner Zeit vertraut war.
Der spanische Wissenschaftler Mikel de Epalza hat die These aufgestellt, dass der Autor ein so genannter Morisco war. Nach der Eroberung Granadas durch die spanischen Könige im Jahr 1492 wurden alle Muslime zwangsgetauft oder aus dem Land gejagt. Diese Moriscos (Mauren) blieben häufig ihrem islamischen Glauben treu, erlernten aber auch die Lehren des Christentums und waren sich vermutlich mancher Grundsätze des Korans nicht mehr ganz sicher, weil sie ja nicht mehr unterrichtet werden konnten. Epalza führt den kuriosen Mix von christlichen und islamischen Elementen, die jeweils teils Fehler aufweisen, auf diese Umstände zurück. Die Moriscos, die ständigen Verdächtigungen und Verfolgungen ausgesetzt waren, vertrieben die Spanier letztendlich für immer zwischen 1609 und 1614. Epalza weist darauf hin, dass die erste Erwähnung des uns heute bekannten Barnabas-Evangeliums 1634 auf Ibrahim al-Taybili zurückgeht. Dieser Morisco, dessen spanischer Name Juan Pérez lautete, stammte ursprünglich aus Toledo und lebte nach der Vertreibung in Tunesien, dort wieder als freier Muslim. Er mag wohl genug Gründe gehabt haben, ein Evangelium zu schreiben, das die islamische Lehre bestätigt, um sich an den Christen zu rächen, die seinen Glaubensbrüdern über Jahrhunderte die Identität und Freiheit geraubt hatten.
Eine ähnliche These hat der spanische Gelehrte Luis Bernabé in den 1990er Jahren aufgestellt. Er weist darauf hin, dass beim Umbau einer Moschee zu einer Kirche in Granada im Jahr 1588 eine Bleikiste mit arabischen Manuskripten entdeckt wurde. Diese Texte wurden von dem Moriscen Miguel de Luna für König Philipp II. übersetzt. Einer der Texte berichtet von einem in Zypern entdeckten Evangelium, das die Wahrheit über Jesus enthalte. Bernabé vermutet daher, dass eventuell Miguel de Luna das Barnabas-Evangelium geschrieben haben könnte – oder ein anderer Morisce.
Für die spanischen Wurzeln des Barnabas-Evangeliums spricht sehr vieles. Doch warum der nach 1492 geschriebene Text so deutlich auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts verweist, bedarf noch der Klärung – vielleicht arbeiteten die Moriscen mit einer früheren islamischen Vorlage? Doch ob dem wirklich so war, können nur weitere Forschungen und vielleicht die Entdeckung einer früheren Fassung des Textes zeigen.
Ulrich Magin
Literatur
Alfred Läpple, Christliches in Höhle 7?, in: Wise, Abegg, Cook, Die Schriftrollen von Qumran, Augsburg, 1999
Dr. Christian Schirmacher, Wurde das wahre Evangelium Christi gefunden? http://www.islaminstitut.de/index. php?templateid=artikel&id=2
Jan Slomp, The »Gospel of Barnabas« in recent research. http://www.chrislages.de/barnaroim.htm
Carsten Peter Thiede und Matthew d’Ancona, Der Jesus-Papyrus, Reinbek bei Hamburg, 1997
Das komplette Barnabas-Evangelium ist im Internet unter http://barnabas.net/ zu finden, allerdings nur in Englisch. Die von Muslimen betriebene Website enthält historische Unkorrektheiten. Eine deutsche Ausgabe erschien 1994 im Turban-Verlag, Bonndorf.
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