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Quadenlande am Gran geschrieben«,
das dritte den Vermerk: »in Carnuntium geschrieben«.
Die Feldzüge gegen die Quaden, die etwa auf dem Gebiet der heutigen Slowakei beheimatet waren, führten Marc Aurel zwischen
171 und 173 mehrmals in das Tal des Gran, eines linken Nebenflusses der Donau. Auch in Carnuntium an der Donau, dem heutigen
zwischen Wien und Bratislava gelegenen Petronell, hatte Marc Aurel in diesen Jahren häufig sein Feldlager aufgeschlagen.
Der Beginn der Niederschrift der
Selbstbetrachtungen
kann also zwischen 170 und 175 angesetzt werden. Wann die Schrift ihre heutige Gestalt erhielt, wissen wir nicht genau. Das
heutige erste Kapitel, in dem Marc Aurel ausführlich allen dankt, die positiv auf ihn Einfluss genommen haben, wurde jedenfalls
erst nachträglich an den Anfang der Schrift gesetzt. Das ursprünglich erste ist demnach das heutige zweite Kapitel.
Anlehnend an die stoische Tradition kreisen die Aufzeichnungen der
Selbstbetrachtungen
um drei große Themen: um die Haltung des Menschen gegenüber dem Kosmos, gegenüber anderen Menschen und schließlich gegenüber
sich selbst.
In der westlichen Kultur ist man, unter christlichem Einfluss, gewohnt, dem Menschen eine besondere Stellung in der Natur
zuzugestehen: als »Krone der Schöpfung«, als »Ebenbild Gottes« oder einfach als einziges Wesen, das durch Vernunft, Bewusstsein
und Sprache sich von allen anderen Wesen grundlegend unterscheidet. Das christliche Menschenbild begann sich auch schon unter
der Herrschaft Marc Aurels bemerkbar zu machen – doch es blieb eine Minderheitenmeinung. Das Bild, das Marc Aurel selbst vom
Verhältnis des Menschen zur Welt zeichnet, ähnelt demgegenüber eher einem klassischen chinesischen Gemälde, in dem der Mensch
einen eher unscheinbaren Platz einnimmt und harmonisch in die Natur eingefügt erscheint. Vernunft ist bei Marc Aurel kein
Privileg des Menschen. In seiner optimistischen Betrachtungsweise wird die Welt von einer alles durchwaltenden, kosmischen
und ewigen Weltvernunft bestimmt.
Diese Weltvernunft ist auch gemeint, wenn Marc Aurel von der »Natur« oder zuweilen von »Gott« spricht. Marc Aurels Auffassung
von Gott ist pantheistisch, d. h., Gott steht nicht außerhalb der Welt, sondern ist identisch mit dem »logos«, der in ihr wirkenden, allumfassenden kosmischen
Weltvernunft. Der Kosmos ist demnach kein bloßer »Stoff« oder eine Ansammlung materieller Teilchen. Er wird zwar materiell
vorgestellt, aber als eine lebende, atmende, immer im Fluss befindliche Substanz, die Marc Aurel charakteristischerweise als
»Lebewesen« bezeichnet.
Die Erde als Planet wird nach stoischer Vorstellung immer wieder durch »Weltbrände« zerstört, um sich dann wieder zu erneuern
– doch der Kosmos selbst ist ewig. Deshalb gibt es auch nicht, wie im Christentum, die Vorstellung einer Zeit, die sich irgendwann
erfüllt oder endet. Für Marc Aurel geht die Zeit ins Unendliche – kein Zeitabschnitt in der Vergangenheit oder Zukunft ist
besonders ausgezeichnet. Die Zeit ist ein großer Raum, in dem jede Stelle die gleiche Bedeutung hat.
Wie die meisten Stoiker vertritt Marc Aurel einen Determinismus – die Auffassung, dass alles im Kosmos notwendig nach dem
Gesetz von Ursache und Wirkung geschieht. Dieser ist zugleich einFatalismus – der Glaube an die Vorherbestimmtheit allen Geschehens durch das Schicksal. Wenn in den
Selbstbetrachtungen
vom Kosmos als dem »von der Vorsehung Durchwalteten« die Rede ist, dann sind die ewigen Naturgesetze gemeint, denen alles
unterworfen ist.
In der Weltvernunft ist auch die Natur mit der Welt des Menschen verbunden. Marc Aurel kennt nicht die uns heute geläufige
Trennung zwischen Natur einerseits und Kultur und Gesellschaft andererseits. Auch die politische und kulturelle Welt hat für
ihn Anteil an der Weltvernunft. Marc Aurel ist einer der ersten bekannten »Kosmopoliten«: Der Kosmos selbst ist wie eine große
Polis, ein Gemeinwesen, in dem alle Menschen auf der Basis der Gleichheit miteinander verbunden sind. Die Welt, so Marc Aurel,
ist »gleichsam eine Stadt«. Die politische und moralische Vernunft, also die Art, wie das menschliche Zusammenleben gestaltet
werden sollte, ist für ihn im Grunde die gleiche Vernunft, die auch die Natur beherrscht. Pflichtgemäß handeln und naturgemäß
handeln – das sind für Marc Aurel deshalb auch zwei Seiten derselben Medaille.
Die Mittel des richtigen,
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