Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
Unterlass. Die Menschen merken, wie die Meere steigen. Sie können ausrechnen, wann alles »Land unter« ist. Ich wohne in Waldhilsbach, einem Ortsteil von Neckargemünd. Unser Haus liegt etwas höher, vielleicht auf 240 Meter über dem Meeresspiegel. Der Neckar in Neckargemünd und dann auch in Heidelberg liegt auf einer Höhe von etwa 115 Meter. Die schönen Villen am Ufer sind zuerst dran, wenn die Pegel steigen. Was passiert bei einer langsam steigenden Sintflut? Mit diesem Szenario beginnt mein Buch
Das Sintflutprinzip
, in dem die Menschen hitzig diskutieren, was nun zu tun wäre. Die einen bauen Deiche, denn »es hört sicher bald wieder auf«. Andere bieten hohe Preise für Häuser in Waldhilsbach, die bald am Neckarstrand liegen werden – ja, aber wie werden dann die Straßen verlaufen? Menschen wie Gunter Dueck berechnen, wie lange es dauert, bis der Mount Everest überschwemmt sein wird, und überlegen Schiffskonstruktionen, wie sie in der Bibel beschrieben werden. Die meisten bauen Deiche, um sich kurzfristig zu retten. Spekulanten aus den schon untergegangenen Niederlanden kaufen den Königstuhl auf, den die Stadt Heidelberg schließlich hergibt, damit das Geld für die Deiche am Neckar beschafft werden kann. Propheten stehen an denUfern und flehen um nachhaltige Lösungen. »Verblendete!« Der Regen hört nicht auf, die Ersten verlassen ihre Häuser an den Ufern. Jetzt stellen sie fest, dass die Preise für die Grundstücke weiter oben durch die Spekulation so hochgetrieben worden sind, dass sie sich kaum irgendwo niederlassen können, ohne weit wegzuziehen – dahin wollen sie nicht, »weil es bestimmt bald aufhört, und dann bin ich allein auf einem kahlen Berg, der dann unverkäuflich ist«. Immer jeweils die Reichen wohnen dann etwas höher, die Armen aber fristen ein gefährliches Leben unten am Wasserrand und können erst höher kommen, wenn die Reichen weiter nach oben weichen …
Na, hoffentlich geschieht das nicht einmal wirklich so. Der Klimawandel bedroht uns ja tatsächlich. Wir fühlen schon eine Art Sintflut kommen, die nach dem Abschmelzen der Polkappen unvermeidlich erscheint. Wir glauben aber nicht so richtig daran und üben uns kollektiv im
Do nothing
.
Nach dieser Allegorie gleich in die Realität: Viele Verleger, Printmedienchefs, Druckmaschinenmanager und Fernsehleute sagen heute allen Ernstes (ich habe es gehört und kaum glauben können, dass ich es gehört habe): »Das mit dem Internet ist so eine Mode, besonders Facebook, das hört bald wieder auf. Wir haben eine vorübergehende Durststrecke, das halten wir aber durch.«
Diese Leute bauen die Deiche … Sie sind die Hüter der althergebrachten Welt. Sie stehen unter der Herrschaft des zwanghaften Prinzips. Sie passen sich an, meiden aber alle wirklich proaktiven Innovationen. Wenn es dann hart auf hart kommt, bekriegen sie sich. Sie bereinigen Märkte, verdrängen Wettbewerber, führen Preisschlachten und kaufen die Konkurrenz auf, sie versuchen, sich mit den alten Konzepten noch eine Weile in ferneren Ländern zu etablieren. »Bestimmt hat das alles bald wieder ein Ende, und wir können unser altes Leben wieder aufnehmen. Zeiten des Wandels sind eben leider mit Kriegen aller Art verbunden, weil alle um ihr normales Dasein kämpfen müssen.« Als besonders krass empfinde ich die triumphale Freude der Übriggebliebenen, wenn sie wieder einmal einen Wettbewerber durch Konkurs verloren haben. Sie sehen das immer als Zeichen ihrer Stärke und kommen nicht auf die Idee, dass sie alle sterben werden.
Wir müssen doch nicht Deiche bauen!
Wir könnten auch voller Lust in das Internetzeitalter ziehen und uns sogar ein besseres Leben leisten. Wir müssen aber akzeptieren, dass das Internet eine so einschneidende Veränderung mit sich bringt wie eine Sintflut oder eine Eiszeit. Vieles ändert sich nun. Los! Und zwar frohgemut! – Warum können wir das nicht so richtig? Wir sind eher zwanghaft erzogen worden. Wir streben den für unsere »Intelligenz« höchstmöglichen Schulabschluss an, ergreifen einen Beruf, gründen eine Familie und leben immer so weiter. Menschen wie diese werden in unseren Systemen produziert. Schauen Sie einfach auf Ihre alten Schulzeugnisse! Über den meinigen standen die so genannten Kopfnoten, ich bekam Bewertungen in den folgenden Kategorien:
Ordnung,
Fleiß,
Mitarbeit,
Betragen.
Mir wurde meine ganze Jugend hindurch signalisiert, dass ein Mensch mit solchen guten Kopfnoten auch ein guter und erwünschter
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