Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
alle. Die Börsenkurse rauschten bei einem richtigen »dot.com«-Crash abgrundtief in den Keller. Katzenjammer.
Die Ideen waren alle bestechend einfach: Man betrachte etwas in der realen Welt (»Brick & Mortar«, »Ziegel und Mörtel«) und verlege es ins Internet. Die ersten News erschienen, Börseninformationen und alle die Untergrundfirmen, die Pornografie gegen erkleckliche Abogebühren verkauften. Die meisten begannen, ihre Services gratis anzubieten, um zuerst einmal Kunden zu gewinnen. Dieses Vorgehen bescherte der Welt eine rauschhafte Gratiskultur, in der es kaum Unternehmen schafften, letztlich außer Kunden auch Geld zu ernten. Außerdem waren die meisten OpenMinds noch nicht vom Internet überzeugt, sie waren es einfach noch nicht gewohnt, zum Beispiel dorteinzukaufen. Das lernten die Kunden erst nach und nach durch vertrauenerweckende Erfahrungen etwa bei Amazon.
Nachdem die Firmen massenweise gestorben waren, machte sich sofort wieder die Hybris der realen »Brick & Mortar«-Welt breit. Genau entlang der Hybris-Curve sagten nun alle: »Es geht nicht! Ich wusste es!«
Schauen Sie sich bitte heute im Internet um: Es gibt jetzt alles, von Zeitungen bis Dating, von Gebrauchtwagenhandel bis Immobilienversteigerungen im Internet. Alles, was damals Bankrott anmelden musste, ist nun da. Es geht eben doch! Damals war die Zeit nicht reif, die OpenMinds zeigten eine zu große Reserve gegen alles, was noch so neu online gegangen war. Nicht nur die Produkte müssen reif sein, auch der Kunde muss innerlich für das Neue bereit sein.
Manchmal denke ich, für jede Idee gibt es eine Zweiteilung der Zeit, so wie wir die Zeit in »vor Christus« und »nach Christus« einordnen. Irgendwann wird die Schlucht oder das Chasma übersprungen. Dann ist die Gelegenheit da, dann ist sie günstig. Die Entwicklung des Neuen trifft nun auf größere Resonanz – die Kunden wollen kaufen und auch anständig bezahlen.
Jetzt! Raus! Verkaufen! Expandieren!
Bei IBM erzählte ich immer von visionären Ideen. Wieder und wieder. Und das Publikum schüttelte den Kopf. Die Protagonisten nickten natürlich, sie sahen alles schon kommen, aber die OpenMinds sagten: »Das geht so nicht.« Die CloseMinds riefen: »Das wird gar nichts.« Die Antagonisten: »Nie!« Aber auch die Protagonisten meinten, die Zeit sei nicht reif – und so ganz ohne Zweifel seien sie nicht. Im Grunde dachten alle mehr oder weniger: »Heute geht das nicht.« Mit jeder Idee habe ich eine lange Zeit des »geht nicht« verbracht. »Das geht nicht, geht nicht, geht nicht!« Aber plötzlich, eines Tages sagte dann immer jemand: »Das gibt es schon.« Und einige Tage später wieder einer, fast vorwurfsvoll: »Gibt es schon.« Damit war ich als Visionär absolut abqualifiziert. Ich habe die Aufgabe, Neues zu prophezeien, das noch
nicht
geht. Darf ein Visionär etwas anpreisen, was es schon gibt? Da muss ich mich doch schämen. Aber ich schäme mich nicht wirklich, ich horche nur auf. Jetzt ist nämlich die Zeit gekommen. Es liegt etwas in der Luft, sodass die OpenMinds nun etwas kaufen.
Es gibt einen griechischen Gott, Kairos. Er ist so gut wie unbekannt, es gibt nur einen bekannten Altar in Olympia (nicht erhalten). Aus einem Epigramm des Poseidippos von Pella (3. Jh. v. Chr.) erfahren wir, dass Kairos immer im Lauf oder im schnellen Flug ist. Er hat eine besondere Haartracht. Vorn hängt eine lange Locke herunter, hinten ist sein Kopf kahl geschoren. Kairos saust an uns vorbei, rasend schnell! Er symbolisiert die Gelegenheit, die es gilt, am Schopf zu packen! Wenn Kairos auf uns zuschießt, müssen wir ihn vorn am Schopf, an seiner Locke packen. Wenn er an uns vorbeigezischt ist, hilft ein Griff an den Hinterkopf nicht mehr, der ist glatt. Kairos ist das Symbol für den günstigen oder den rechten Zeitpunkt.
»Erkenne den rechten Zeitpunkt!«, mahnt Pittakos von Mytilene, und wir finden oft Friedrich Schiller in etwa so zitiert:
»Was du im Augenblicke ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück.«
(Anmerkung: Genau heißt es in meiner Ausgabe
»Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück.«
, aus
Resignation
– eine Fantasie.)
Sie selbst seufzen doch stets in dieser Weise, wenn an Ihnen eine Aktienkurschance vorbeiraste. »Ach, hätte ich damals gekauft, ich wäre ein reicher Mensch.« So klingt dann Ihre eigene Fantasie und Ihre Resignation. Sie haben eben nicht zugegriffen.
Energization – Strom!
Sie kennen sicher diese
Weitere Kostenlose Bücher