Das Niebelungenlied
Herzen, daß so viele von ihren Liebsten den Tod finden sollten. Sie klagten, und wahrlich, sie hatten Grund dazu.
Am Morgen des siebenten Tages ritten sie auf das Rheinufer bei Worms. Ihr Gewand war ganz aus Gold, das Zaumzeug wohlbeschaffen, ihre Pferde gingen ebenmäßig. Ihre Helme und starken Schilde glänzten vor Neuheit. Die Schwertspitzen reichten bis zu ihren Sporen, und sie hattenscharfe Speere; der von Sîfrit war zwei Spannen breit, und die Kanten schnitten gefährlich. An den seidenen Brustriemen führten sie ihre Pferde – so kamen sie ins Land. Überall begann das Volk sie anzustarren und zu bewundern. Die Hofleute kamen ihnen entgegen, wie es sich gehörte, empfingen sie und nahmen ihnen die Schilde und Pferde ab. Als sie die Pferde in die Ställe führen wollten, sagte Sîfrit rasch: »Laßt uns die Pferde hier. Ich habe vor, bald weiterzureisen. Sagt mir aber, wo ich Gunther, den mächtigen König der Burgunden, finde.« Einer, der sich am Hofe gut auskannte, sagte ihm: »Wenn Ihr zum König wollt, so habt Ihr es nicht weit. In dem großen Saal dort habe ich ihn gesehen mit seinen Rittern. Ihr werdet manchen angesehenen Mann bei ihm finden.«
Nun hatte der König erfahren, daß da stolze Ritter gekommen seien in blitzenden Harnischen und prächtiger Kleidung. Niemand in Burgund kannte sie. Der König war neugierig, woher die Helden in ihren prächtigen Gewändern mit so neuen starken Schilden wohl gekommen wären, und er hätte es gerne gewußt. Ortwîn von Metz sagte: »Da wir sie nicht kennen, solltet Ihr nach meinem Onkel Hagen schicken, damit er sie ansieht. Denn er kennt alle Reiche und die fremden Länder, und wenn ihm die Ritter bekannt sind, wird er es uns sagen können.« Der König ließ ihn mit seinen Leuten kommen, in prächtigem Aufzug gingen sie zu Hof, und Hagen fragte nach des Königs Wünschen. »Im Hof der Burg sind fremde Krieger, die niemand kennt. Wenn Ihr sie je gesehen habt, so sagt mir, wer sie sind.« – »Das will ich tun«, sagte Hagen. Er ging zu einem Fenster und betrachtete die Fremden. Ihr Aufzug gefiel ihm, aber er kannte sie nicht. Er meinte, woher sie auch wären, sie könnten durchaus Fürsten oder mindestens Fürstenboten sein. Sie hätten schöne Pferde, und ihre Kleidung wärereich. Woher sie auch kämen, sie wären hochgestimmt und selbstbewußt. »Ich habe zwar Sîfrit nie gesehen, aber wie es sich auch verhält: ich möchte glauben, jener Ritter ist es, der dort so herrenhaft einhergeht. Er bringt uns Neuigkeiten. Er hat die starken Nibelungen besiegt, die reichen Königssöhne Schilbunc und Nibelunc. Mit seiner großen Kraft hat er Unerhörtes vollbracht. Man sagt, daß er einmal ohne alle Begleitung ausritt und vor einem Berg den Schatz der Nibelungen und viele tapfere Männer fand, die er vorher noch nie gesehen hatte. Der Schatz war aus einem hohlen Berg herausgetragen worden, und nun hört und staunt: die Nibelungen wollten ihn teilen. Sîfrit sah es verwundert und ritt so nahe heran, daß er sie sehen konnte und sie ihn. Einer von ihnen sagte: ›Dort kommt der starke Sîfrit, der Held aus den Niederlanden.‹ Er erlebte merkwürdige Geschichten mit den Nibelungen. Schilbunc und Nibelunc empfingen ihn ehrerbietig, und nach gemeinsamem Beschluß baten sie ihn, den Schatz zu teilen, und Sîfrit versprach es. Wie man erzählt, waren da so viel Edelsteine zu sehen, daß hundert Rüstwagen sie nicht hätten davonfahren können, und noch viel mehr Gold lag vor ihm. Dies alles sollte Sîfrit teilen. Zum Entgelt gaben sie ihm das Nibelungenschwert. Aber ihnen war schlecht geholfen mit dem Dienst, den er ihnen da leisten sollte. Er konnte die Teilung doch nicht zu Ende bringen, und da wurden sie zornig. Sie hatten ihre Freunde, zwölf starke Riesen, bei sich, aber was konnte ihnen das nützen? Sîfrit erschlug sie zornig, und siebenhundert Krieger der Nibelungen zwang er zu Boden mit dem scharfen Schwert Balmunc. Wegen der großen Furcht, die viele Ritter vor dem Schwert und vor dem Mann hatten, unterwarfen sich ihm die Burgen und das offene Land dazu. Die beiden Könige erschlug er. Aber da kam er in Bedrängnis durch Alberich, der seine Herrensofort rächen wollte, bis er ebenso der Stärke Sîfrits inne wurde. So konnte auch der mächtige Zwerg es nicht mit ihm aufnehmen. Wie die Löwen liefen sie auf den Berg zu, wo er Alberich die Tarnkappe wegnahm, und so wurde der gefürchtete Sîfrit der Herr des Schatzes. Die zu kämpfen gewagt hatten, lagen alle
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