Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
Außerdem wird abends eine Alarmanlage eingeschaltet. Und was soll da schon für einen Einbrecher zu holen sein, außer diesem Keramikzeug.«
»Nicht zu gebrauchen«, sagte Shinwell Johnson mit der Bestimmtheit des Experten. »Keiner von der Zunft gibt sich mit was ab, das sich nicht einschmelzen oder verkaufen läßt.«
»So ist es«, sagte Holmes. »Aber zu Ihnen, Miss Winter: Könnten Sie morgen nachmittag um fünf noch einmal kommen? Ich würde in der Zwischenzeit überlegen, ob sich Ihr Vorschlag, die Dame selbst zu besuchen, verwirklichen läßt. Ich bin Ihnen für Ihre Mitarbeit zu äußerstem Dank verbunden und brauche wohl nicht zu betonen, daß meine Klienten sich freigebig erkenntlich…«
»Nichts da, Mr. Holmes!« rief die junge Frau. »Ich bin nicht auf Geld aus. Ich möchte den Mann im Dreck sehen – im Dreck, und mein Fuß auf dem verfluchten Gesicht. Das wär meine Belohnung. Ich bin für Sie da, morgen und wann Sie wollen, solange Sie ihm auf der Spur sind. Porky kann Ihnen immer sagen, wo Sie mich finden.«
Ich sah Holmes erst am Abend des folgenden Tages, als wir wieder in unserem Restaurant am Strand aßen. Er zuckte die Schultern, als ich ihn fragte, was er bei dem Gespräch erreicht habe. Dann erzählte er die folgende Geschichte, die ich mit eigenen Worten wiedergebe, da sein präziser, trockener Bericht ein bißchen Bearbeitung nötig hat, um ihn an die Sprache des wirklichen Lebens heranzuführen.
»Mit der Verabredung war es nicht im geringsten schwierig«, sagte Holmes, »denn das Mädchen glänzt geradezu mit kindlichem Gehorsam in Nebensachen und versucht so, den Vater damit zu versöhnen, daß sie ihren Gehorsam eben durch die Verlobung offenkundig gebrochen hat. Der General telefonierte, alles sei bereit, und die ungestüme Miss W. traf auch pünktlich ein. Eine halbe Stunde später stiegen wir vor dem Haus Berkeley Square 104, wo der alte Soldat residiert, aus der Droschke – es ist einer dieser scheußlichen grauen Londoner Paläste, gegen die sich sogar eine Kirche nichtig ausnimmt. Ein Diener führte uns in einen großen Salon mit gelben Vorhängen, und dort erwartete uns die Dame, spröde, bleich, verschlossen und so starr und abweisend wie der schneebedeckte Gipfel eines Berges.
Ich weiß nicht recht, wie ich es Ihnen erklären soll, Watson. Vielleicht lernen Sie sie kennen, ehe wir die Sache abschließen, und Sie können dann Ihre Sprachkraft an ihr erproben. Sie ist schön, von der ätherischen Schönheit einer anderen Welt, wie ein Fanatiker, der seine Gedanken auf ganz Hohes richtet. Ich habe solche Gesichter auf den Bildern der mittelalterlichen Meister gesehen. Wie ein halbtierischer Mensch seine nichtswürdigen Pranken auf solch ein Wesen aus dem Jenseits legen konnte, bleibt mir unvorstellbar. Sie haben sicherlich schon bemerkt, daß Gegensätze sich anziehen, das Geistige und das Animalische, der Höhlenmensch und der Engel. Sie können sich keinen schlimmeren Fall als diesen denken.
Sie wußte selbstverständlich, warum wir gekommen waren – der Schurke hatte keine Minute verloren und ihren Verstand vergiftet. Miss Winters Gegenwart verwirrte sie einigermaßen, aber sie wies uns unsere Stühle an wie eine ehrwürdige Äbtissin, die zwei Aussätzige empfängt. Wenn Sie Neigung fühlen, sich aufzublasen, dann, mein lieber Watson, gehen Sie bei Miss Violet de Merville in die Lehre.
›Sir‹, sagte sie mit einer Stimme wie der Wind von einem Eisberg, ›ich kenne Ihren Namen. Ich weiß, Sie sind gekommen, meinen Bräutigam, Baron Gruner, herabzusetzen. Nur auf die Fürsprache meines Vaters hin empfange ich Sie, aber ich möchte Sie von vornherein darauf aufmerksam machen, daß nichts, was Sie mir möglicherweise sagen, auch nur die mindeste Wirkung auf mich ausüben wird.‹
Sie tat mir leid, Watson. Für einen Augenblick betrachtete ich sie, als wäre sie meine eigene Tochter. Ich bin selten eloquent. Ich gebrauche meinen Kopf, nicht das Herz. Und dennoch habe ich mit so viel Wärme auf sie eingeredet, wie ich irgend aufzubringen vermochte. Ich malte ihr die schreckliche Situation einer Frau aus, die den Charakter eines Mannes erst erkennt, wenn sie schon verheiratet ist – eine Situation, in der sie es sich gefallen lassen muß, von blutigen Händen gestreichelt und von geilen Lippen geküßt zu werden. Ich ersparte ihr nichts – die Schande, die Angst, die Todesnot, die Hoffnungslosigkeit, die vor ihr liegen. Meine Worte
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