Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
wenn es auf der Welt Gerechtigkeit gäbe! Und das ist der Mann, hinter dem Sie her sind, Mr. Holmes.«
Holmes lächelte. »Scheint so, als hätten wir Ihren Segen, Miss Winter.«
»Wenn ich Ihnen helfen kann, ihn dahin zu bringen, wo er hingehört, dann steh ich zu Ihnen, bis zum Gehtnichtmehr«, sagte unsere Besucherin mit wildem Nachdruck. In dem weißen, entschlos senen Gesicht und den lodernden Augen lag so viel abgründiger Haß, wie ihn eine Frau selten, ein Mann nie aufzubringen vermag. »Um meine Vergangenheit brauchen Sie sich nicht zu scheren, Mr. Holmes. Das gehört nicht hierher. Ich bin, was Adelbert Gruner aus mir gemacht hat. Wenn ich ihn nur erledigen könnte!« Außer sich, schüttelte sie die Fäuste. »Oh, wenn ich ihn doch nur in die Hölle runterziehen könnte, in die er so viele gestoßen hat!«
»Sie wissen, worum es sich handelt?«
»Porky Shinwell hat’s mir erzählt. Er ist hinter einer armen Idiotin her und will diesmal heiraten. Und Sie wollen ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Sie wissen doch genug über diesen Teufel, um ein ehrliches Mädchen, das noch alle beisammen hat, davor zu bewahren, daß sie sich mit ihm zusammenschmeißt.«
»Sie hat sie nicht alle beisammen. Sie ist bis zum Wahnsinn verliebt. Ihr wurde alles über ihn erzählt. Sie schert sich nicht darum.«
»Auch über den Mord?«
»Ja.«
»Mein Gott, muß die bescheuert sein!«
»Sie hält es für Verleumdung.«
»Können Sie sie denn nicht mit ihrer dummen Nase auf Beweise stoßen?«
»Können Sie uns dabei helfen?«
»Bin ich nicht Beweis genug! Wenn ich mich vor sie stellen und ihr erzählen würde, wie er mich benutzt hat…«
»Würden Sie das tun?«
»Ob ich das tun würde? Mit dem größten Vergnügen.«
»Es wäre einen Versuch wert. Aber er hat ihr die meisten Missetaten gestanden, und ihm ist von ihr verziehen worden; sie will, soviel ich weiß, über so etwas nicht mehr sprechen.«
»Ich wette, er hat ihr nicht alles erzählt«, sagte Miss Winter. »Ich weiß ein bißchen über ein paar andere Morde außer dem einen, um den Geschrei gemacht worden ist. Er sprach von einem auf die sanfte Tour und sah mich fest an und sagte: ›Innerhalb eines Monats war er tot.‹ Und, was er abließ, war keine warme Luft. Doch ich hab kaum drauf geachtet – ich war ja damals in ihn verliebt. Was er tat, imponierte mir, genau wie jetzt diesem armen blöden Luder. Aber eine Sache hat mich umgehauen. Ja, beim Satan, ohne die giftige, verlogene Zunge, mit der er einem was erklärt und einen beruhigt, hätte ich ihn am selben Abend noch verlassen. Es geht um ein Buch – in braunes Leder eingebunden, abschließbar und mit seinem Wappen in Goldprägung vorn drauf. Ich nehme an, er war an dem Abend ein bißchen besoffen, – sonst hätte er’s mir wohl nicht gezeigt.«
»Was für ein Buch ist das?«
»Ich sag Ihnen, Mr. Holmes, der Mann sammelt Frauen und ist stolz auf seine Sammlung, wie andere Motten oder Schmetterlinge sammeln. Und was war drin in dem Buch: Schnappschüsse, Namen, Einzelheiten, alles über sie. Ein hundsgemeines Buch – keiner sonst, und wenn er aus der Gosse wäre, hätte so etwas zusammengestellt. Aber Adelbert Gruner hat’s gemacht. ›Seelen, die ich ruiniert habe‹, das hätt er vorn draufschreiben können, wenn’s ihm eingefallen wäre. Aber das gehört nicht hierher, denn das Buch würde Ihnen nicht helfen, und wenn, Sie kämen nicht dran.«
»Wo ist es?«
»Wie soll ich wissen, wo es jetzt ist? Ich hab ihn vor mehr als einem Jahr verlassen. Ich weiß, wo er es damals aufbewahrte. In vielem ist er ein genauer und ordentlicher Kerl, und vielleicht liegt es wirklich noch in dem Fach von dem alten Schreibpult in seinem kleinen Arbeitszimmer. Kennen Sie sein Haus?«
»Ich war im Arbeitszimmer«, sagte Holmes.
»Was, schon? Da haben Sie aber schnelle Arbeit geleistet, wenn Sie erst heut morgen angefangen haben. Vielleicht hat der liebe Adelbert diesmal einen gefunden, der ihm über ist. Das große Arbeitszimmer ist der Raum, wo die chinesische Keramik steht, in der Vitrine zwischen den Fenstern. Hinter dem Schreibtisch ist eine Tür, durch die kommt man in das kleine Arbeitszimmer, und da bewahrt er seine Papiere und seinen Kram auf.«
»Hat er keine Angst vor Einbrechern?«
»Adelbert ist kein Feigling. Das muß ihm sein schlimmster Feind lassen. Der weiß sich zu helfen.
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