Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
Regime reagiert mit Repressalien, die nur noch mehr Verbitterung auslösen. Am 1. März dieses Jahres umstellten Soldaten das Haus von Ali Yafie und zerstörten es. Der Besitzer und acht Mitglieder seiner Familie wurden getötet, darunter seine siebenjährige Enkeltochter. Am Tag zuvor hatte Ali Yafie ein Konterfei des Präsidenten öffentlich verbrannt. In der Regierungspropaganda hieß es, er sei Mitglied der AQAP .
Ebenfalls in Aden hatten Sicherheitskräfte bereits am 4. Januar das Haus von Hisham Bashraheel, dem Herausgeber der Tageszeitung Al-Ayyam umzingelt. Das seit 1958 bestehende Blatt hatte regelmäßig über Brutalitäten der staatlichen Organe berichtet, mitsamt Fotos, zum Beispiel von Exsoldaten, die von Sicherheitskräften erschossen worden waren, als sie für die Auszahlung ihrer Renten demonstrierten.
Al-Ayyam war seit Mai 2009 verboten, aber die Redaktionsräume dienten nach wie vor als Treffpunkt von Jour nalisten, Intellektuellen und Menschenrechtlern. Als das Gebäude umstellt wurde und Freunde der Zeitung zu Hilfe eilen wollten, wurden sie durch Schüsse in die Luft vertrieben. Dann schlugen Mörsergranaten ein; der Verleger und seine Familie überlebten wie durch ein Wunder in einem Kellerraum. Bashraheel und seine beiden Söhne ergaben sich erst am nächsten Morgen unter den Augen der Öffentlichkeit, damit die Soldaten sie nicht ohne Weiteres umbringen konnten.
In Aden hat mir ein Aktivist etwas erzählt, das er von »Freunden in der Polizei« erfahren hat. Angeblich hatte die Polizei in einem Auto ohne Nummernschilder zwei ano nyme Leichen herangeschafft, die sie für den Fall, dass der Verleger und seine Familie getötet worden wären, in dem Haus abgelegt und als AQAP -Kämpfer präsentiert hätten, die bei der Belagerung umgekommen seien. Ein von der Familie angestellter Leibwächter wurde erschossen, als er sich der Polizei ergeben wollte. Sein Vater wurde beim Begräbnis seines Sohns verhaftet. Bashraheel selbst wurde wegen »Bildung einer bewaffneten Gruppe« angeklagt. 112
Auf meinen Reisen durch den Süden kam ich auf dem Weg von Aden nach Mukallah durch Shibam. Der Anblick der ummauerten Stadt ließ mich die Politik für einen Augenblick vergessen. Die mehrstöckigen Häuser aus Lehmziegeln waren die Kulisse, vor der Pasolini viele Szenen seiner Filmversion von Tausendundeine Nacht gedreht hat. Zurück in Rom schwärmte er so lange über die Architektur von Shibam, bis die UNESCO die ganze Stadt zum Weltkulturerbe deklarierte.
In dieser Stadt wurden kürzlich vier südkoreanische Touristen getötet, als sie die Stadt von einem Hügel aus fotografieren wollten. Die Täter sollen AQAP -Selbstmordattentäter aus dem Norden gewesen sein. Als ich Einheimische fragte, was sie von der AQAP wüssten, flüsterte mir einer ins Ohr: »Willst du wissen, wo die AQAP ihre Stützpunkte hat? In einem Büro gleich neben dem Präsidenten.« Ähnliches sagen die Leute auch in Aden und Sana’a.
Letzte Weihnachten ließ das Regime zwei Dörfer im Süden mit Bomben und (von US -Experten gesteuerten) Drohnen angreifen. Angeblich habe Anwar al-Awlaki sich dort versteckt, der jemenitische Prediger mit amerikanischem Pass, der den Attentäter mit der Bombe in der Unterhose ausgebildet hat. Gefunden wurde er nicht, aber mehr als zehn Dorfbewohner starben bei dem Angriff.
Das Regime sieht sich auch durch einen Aufstand in der Provinz Sa’ada bedroht, die im Norden an Saudi-Arabien grenzt. Die Bewohner dieser Gebirgsregion sind Zaiditen. Weil die Regierung in Sana’a ihnen nicht hilft, sich gegen die Übergriffe wahabitischer Prediger zur Wehr setzen, greifen sie zur Selbstverteidigung. Als Stammesmilizen im letzten Herbst mehrere saudische Soldaten gefangen nahmen, konnte die Welt am 5. November erstmals die saudische Luftwaffe in Aktion bewundern (zahlenmäßig die drittstärkste Luftwaffe der Welt nach den USA und Israel).
Präsident Ali Saleh sprach erwartungsgemäß von einer schiitischen, mithin von Teheran unterstützten Rebellion, die man mit militärischer Härte ersticken müsse. Aber die Version nimmt ihm kaum jemand ab. Im August 2009 zerstörte die jemenitische Armee in einer Art »Operation Verbrannte Erde« viele Dörfer und zwang 150000 Menschen zur Flucht. Über die Grausamkeiten der Regierungssoldaten erfährt die Welt nichts, weil die Regierung eine Informationssperre verhängt und Hilfsorganisationen aus der Region verbannt hat.
Muhammad al-Maqaleh, Chefredakteur der Zeitung der
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