Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
Meine Hände und Füße sind taub, ich beginne zu zittern. Ich brauche ärztliche Hilfe. Ich bin versichert.«
Der Elektroingenieur, von dem diese Nachricht stammte, war Mitte dreißig, nahm keine Drogen, trank keinen Alkohol und hatte sich nie im Leben geprügelt. Er hatte gegen eine virale Grippe Hustensaft mit Codein genommen und war in seinem Bad ohnmächtig geworden. Beim Sturz hatte er sich am Waschbecken den Kiefer gebrochen und meh rere Zähne ausgeschlagen. Seine Verletzungen waren ge nauso schlimm wie diejenigen von Gewaltopfern in Oakland. Doch ich fand schockierend, dass ein hervorragend ausgebildeter junger Mann glauben konnte, er käme trotz seiner Schmerzen, blutenden Wunden und seines Schocks nicht sofort dran, weil sein Versicherungsstatus unbekannt war. Dabei musste er nur deswegen warten, weil direkt vor ihm ein Schlaganfall und ein Herzanfall hereingekommen waren. Wenn selbst die Privilegierten schon fürchten, dass ihr Zugang zu medizinischer Versorgung gefährdet ist, lässt sich nur noch ein Schluss ziehen: Das System funktioniert für niemanden.
ANHANG 2
Anmerkungen zum Jemen 108
Zu meiner Reise in den Jemen entschloss ich mich, nachdem Obama behauptet hatte, weite Teile des Landes seien »nicht voll unter Kontrolle der Regierung«. US -Senator Joseph Lieberman hatte sogar lauthals verkündet, wenn man im Jemen nicht rechtzeitig eingreife, werde man dort »den Krieg von morgen« erleben, nach Irak und Afghanistan.
Das neue Interesse für den Jemen und die »Al-Qaida der arabischen Halbinsel« ( AQAP ) hatte mit einem jungen Nigerianer zu tun, der am 25. Dezember 2009 mit einer Bombe in der Unterhose ein Flugzeug auf dem Weg von Amsterdam nach Detroit in die Luft sprengen wollte. Nach seiner Festnahme sagte Umar Faruk Abdulmutallab aus, er sei zwar schon in Großbritannien zum harten Islamisten geworden, aber seinen – Gott sei Dank nicht sehr erfolgreichen – Crashkurs als Selbstmordattentäter habe er irgendwo im Jemen bei der AQAP durchlaufen.
Der Jemen ist ein richtiges Land – anders als die über die Arabische Halbinsel verteilten imperialen Tankstellen, wo sich die Herrschaft der Eliten in hektisch hochgezogenen, von Stararchitekten entworfenen Wolkenkratzern manifestiert, wo in den Shopping Malls sämtliche westlichen Luxusprodukte zu haben sind und die Dienstklasse aus südasiatischen und philippinischen Lohnsklaven besteht.
Jemens Hauptstadt Sana’a wurde zu einer Zeit gegründet, als noch nicht alle Teile des Alten Testaments geschrieben waren. Das neue Mövenpick-Hotel im Diplomatenviertel erinnert zwar fatal an Dubai, aber die jemenitische Elite hütet sich, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Der Vernichtung durch Modernisierung entging die Altstadt dank der UNESCO , die in den 1980er-Jahren ein Programm finanzierte, zu dem auch der Wiederaufbau der alten Stadtmauer gehörte. Die Große Moschee aus dem 9. Jahrhundert wird derzeit von italienischen Experten restauriert, die zusammen mit einheimischen Archäologen Alltagsgegenstände und bildliche Darstellungen aus vorislamischer Zeit freilegen.
Die architektonische Substanz von Sana’a ist fantastisch, etwas Vergleichbares gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Die neun, zehn Stockwerke hohen Gebäude wurden im 10. Jahrhundert errichtet und 600 Jahre danach im originalen Stil restauriert. Die Mauern sind aus leicht gebrannten Ziegelsteinen, verziert mit geometrischen Gipsornamenten und symmetrischen, eingekratzten Mustern. Beim heutigen architektonischen Gesamtbild fehlen nur die hängenden Gärten, die noch im Mittelalter jedes Stockwerk zierten und die Besucher in Entzücken versetzten. 109
Dass der Westen jetzt Angst vor der AQAP bekommt, hat dem Jemen dieses Jahr bereits 63 Millionen Dollar an US - Finanzhilfe eingebracht, zusätzlich zu den Geldern des Pentagon für die Terrorbekämpfung (2009 waren das 67 Millionen Dollar). Ein Fünftel dieser Summe ist für Waffenkäufe reserviert, der größte Brocken dürfte an den Präsidenten und seine Entourage gehen, ein Teil auch in den Taschen der Militärführung landen. Um die restlichen Dollars werden sich die lokalen Größen in den verschiedenen Regionen streiten. Ein jemenitischer Geschäftsmann erzählt davon, wie entsetzt er war, als er vor einigen Jahren mit der Regierung ein Geschäft ausgehandelt hatte und der Ministerpräsident, ein respektabel und bescheiden wirkender Mann, nach dem Abschluss zusätzlich 30 Prozent für sich verlangte. Als der Mann ihn
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