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Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege

Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege

Titel: Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tariq Ali
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Stattdessen stürmten seine Leibwächter, vollgepumpt mit Drogen und bewaffnet mit Scorpion-Maschinenpistolen, in die Sitzung. Sie erschossen den Vizepräsidenten Ali Ahmed Antar und nahmen dann alle Anwesenden unter Feuer. Vier Mitglieder des Politbüros, darunter Abdul Fattah Ismail, und acht ZK -Mitglieder wurden getötet. In der ganzen Stadt brachen wilde Schießereien aus, Ismails Haus wurde von Mörsergranaten zerstört. Kurz nach zwölf Uhr mittags hieß es auf Radio Aden und im Fernsehen, der Präsident habe einen Putschversuch von rechts vereitelt, Ismail und seine Mitverschwörer seien hingerichtet worden. Drei Stunden später meldete der arabische Dienst der BBC , der »gemäßigte und pragmatische« Präsident des Jemen habe einen Putschversuch der harten Kommunisten abgewendet. Diese Linie übernahmen auch die meisten westlichen Medien: Die Putschisten hätten versucht, das Land noch mehr zu radikalisieren. Und zwar mit Unterstützung Moskaus – wo inzwischen Gorbatschow an der Macht war.
    Als sich die Nachricht von dem Gemetzel in Aden verbreitete, ging die Bevölkerung auf die Straße. Soldaten besetzten das Verteidigungsministerium und die Kommandozentrale, wo sich Nasirs Leute eingenistet hatten. Die Kämpfe gingen die ganze Nacht weiter. Viele unbewaffnete Parteimitglieder, Gewerkschafter und Bauernvertreter, die auf vorbereiteten Listen standen, wurden von Nasirs Soldaten umgebracht. Doch nach fünftägigen schweren Kämpfen hatten die »pragmatischen Gemäßigten« verloren. Nasir und seine Leute flohen in den Nordjemen und anschließend nach Dubai. Heute betreibt Ali Nasir ein »Kulturzentrum« in Damaskus, von wo er auch diverse andere Geschäfte betreibt.
    Das Gemetzel im Zentralkomitee war der Anfang vom Ende der Demokratischen Volksrepublik Jemen. Die vom Westen gestützten Regime der Region, die den Showdown organisiert hatten, propagierten immerfort, der Süden werde von sozialistischen Verbrechern beherrscht. Als die Sowjetunion zusammenbrach, kam es zu Verhandlungen zwischen dem Süden und dem Norden, die im Mai 1990 mit der Wiedervereinigung des Jemen endeten. An der Spitze steht seither ein fünfköpfiger Präsidentschaftsrat, in dem beide Landesteile vertreten sind. 1991 wurde dann eine neue Verfassung verabschiedet, die alle rechtlichen Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit aufhob.
    Doch die Vereinigung lief nicht gut. Die Bewohner des Südens hatten das Gefühl, dass ihre Interessen verraten wurden. Und die ständigen Streitereien waren kein gutes Omen für die Koalitionsregierung, die nach den ersten Wahlen zustande kam. Präsident des vereinigten Landes wurde Ali Saleh, das frühere Staatsoberhaupt des Nordens. Die beiden Gruppen gerieten schnell aneinander. Die Sozialisten be schwerten sich, dass sie in Sana’a und anderen Städten von bewaffneten Gruppen des Präsidenten angegriffen wurden. Überall im Süden kam es zu Scharmützeln zwischen den Truppen aus dem Norden und den Resten der alten südjemenitischen Armee.
    1994 brach ein kurzer, erbitterter Krieg aus, in dem auch dschihadistische Gruppen und Osama bin Laden mitmischten, Letzterer auf der Seite von Ali Saleh. Die klaren Verlierer waren am Ende die Jemeniten des Südens, und zwar nicht nur in militärischer, sondern auch in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht. Die Nordstaatler rissen sich Grundbesitz und städtische Immobilien unter den Nagel. Die Frauen wurden gedrängt, sich von Kopf bis Fuß zu verschleiern. In Aden erzählte mir eine Frau (mit unverschleiertem Gesicht): »Der Druck war brutal. Wenn wir nicht voll verschleiert waren, wurden wir als Prostituierte beschimpft. Damals kam es zu vielen Vergewaltigungen.«
    In Aden ging mir schnell auf, dass die islamistischen Terroristen der AQAP für die Menschen noch das geringste Problem sind. Die meisten Südjemeniten wünschen sich sehnlichst ihre Unabhängigkeit vom Norden zurück. Immer wieder sagte man mir: »Das hier ist keine Vereinigung, sondern Besatzung.« Aber es gibt keine politische Führung, und in Sana’a hält sich das Gerücht, Präsident Ali Saleh plane, den alten Schlächter Ali Nasir, den er für eine »integrative Figur« halte, wieder in die Politik zurückzuholen.
    Bei Demonstrationen in den Dörfern und Kleinstädten des Südens werden Porträts von Ali Saleh mit zerkratztem Gesicht herumgetragen, außerdem die zerrissene Flagge des Einheitsstaats. Und überall flattert wieder die alte Fahne der DVRJ . Das

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