Das Opfer
männliche Ausstrahlung bewegte sich auf vergleichsweise bescheidenem Niveau.
»Um ein Haar wäre ich zu spät gekommen«, verkündete der Anwalt, als er am Tisch Platz nahm. »Die Staus in Ihrer Stadt sind bemerkenswert.«
Le Sta sprach Englisch mit leichtem Akzent und seine mandelförmigen, braunen Augen musterten Bobby mit größter Aufmerksamkeit. Der Amerikaner konterte den prüfenden Blick mit einem unverbindlichen Lächeln.
»Sind Sie schon lange in New York?«
»Ich komme direkt vom Flughafen und kehre noch heute wieder nach Bern zurück. Das Treffen mit Ihnen ist der einzige Zweck meines Aufenthalts.«
»Es ist das erste Mal, dass ich Besuch aus Europa bekomme«, bekannte Bobby betont teilnahmslos, um seine innere Aufgewühltheit zu kaschieren. »Worüber wollten Sie mit mir sprechen?«
Abermals fixierte ihn le Sta unverwandt, und Bobby bemerkte plötzlich, dass sein Gesprächspartner keine Ohrläppchen hatte. Merkwürdig, ob er deshalb so lange Haare trug?
»Mr. Douglas-Hume, die Sache, über die ich mit Ihnen sprechen muss, ist gleichermaßen erstaunlich wie ungewöhnlich. In meiner gesamten Berufspraxis habe ich noch keinen ähnlich gelagerten Fall erlebt.«
»Das ist ja höchst interessant.«
Bogdan trank einen Schluck von seinem Kaffee und dabei funkelte am kleinen Finger seiner rechten Hand ein Rubin. Bobby hätte eher mit einer teuren Uhr gerechnet und fragte sich, ob sich alle europäischen Anwälte mit solcherlei Klunker schmückten.
»Wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, handelt es sich um das Testament von Lord Russel Earl. Ich habe die Ehre, sein Testamentsvollstrecker zu sein.«
»Ich kannte diesen Gentleman nicht.«
»Es könnte sein, dass Sie ein Glückspilz sind, Mr. Douglas-Hume. Bedauerlicherweise war Lord Russel kein ausgesprochener Menschenfreund und hatte einen schwierigen Charakter. Es genügt wohl zu erwähnen, dass er in seinem Testament nicht einen einzigen Verwandten oder Bekannten bedacht hat. Sein einziger Sohn ist während des Golfkriegs gefallen. Er war Pilot.«
»Ein schwerer Verlust.«
»Gewiss.« Bogdan nickte sachlich. »Wie dem auch sei, Lord Russel ist kein einziger direkter Erbe geblieben.«
Bobbys Herz begann schneller zu schlagen.
»Hinterlässt er denn ein großes Vermögen?«
»Bankeinlagen, Aktien, Immobilien, alles in allem ein Vermögen von fünfunddreißig bis vierzig Millionen Pfund Sterling. Abzüglich der Steuern, versteht sich.«
Douglas-Hume fiel die Kinnlade herunter und er begann zu schwitzen.
»Und was hat das alles mit mir zu tun?«
Bogdan le Sta hatte es nicht eilig, zur Sache zu kommen. Er seufzte und blickte zerstreut aus dem Fenster.
»Wissen Sie, Lord Russel war ein exzentrischer Mensch. Seit er sein Ende herannahen spürte, beschäftigte er sich intensiv mit der Theorie der Seelenwanderung. Haben Sie davon gehört?«
»Natürlich, aber ich habe ihr keine größere Bedeutung beigemessen«, log Bobby, der sich in Wirklichkeit noch nie mit seiner Seele beschäftigt hatte, geschweige denn mit deren Wanderung.
»Lord Russel war davon überzeugt, dass sich seine Seele nach dem Tod in einem anderen Körper reinkarnieren und seine Persönlichkeit auf diese Weise fortbestehen würde. In letzter Zeit suchte er fieberhaft nach diesem vermeintlichen Nachfolger, um ihm durch die Erbschaft ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Der Lord umgab sich mit allerlei Zauberern, Schamanen, Medien – nun, Sie wissen schon, was ich meine. Letzten Endes machten diese Leute mit vereinten Kräften die Person ausfindig, in deren Körper die Seele des alten Lord Russel angeblich ihre neue Heimstatt finden sollte.«
»Und Sie erwarten von mir, dass ich Ihnen das glaube? «, flüsterte Bobby aufgewühlt.
Vierzig Millionen Pfund Sterling – das waren fast sechzig Millionen Dollar! Douglas-Humes Hemd war schweißgetränkt.
»Haben die Herrschaften noch einen Wunsch?«, erkundigte sich Peggy und warf einen interessierten Blick auf Bogdans Heldengesicht.
»Vielleicht später«, sagte Bobby.
Der Anwalt würdigte die hübsche Kellnerin keines Blickes.
»Aber das kann doch nicht sein, so etwas gibt es nicht, Mr. le Sta!«, insistierte Bobby, der es immer noch nicht fassen konnte.
»Robert, ich erkläre Ihnen doch nur, was Lord Russel dazu veranlasst hat, ausgerechnet Sie in seinem Testament zu begünstigen.« Bogdan lächelte und breitete die Arme aus. »Er hielt Sie für seinen Nachfolger.«
»Mich?«
»Ihre Überraschung ist völlig
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