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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Kleinigkeit in dem zusammengeknüllten Zeitungspapier in die eine und seine Kröte in die andere Tasche.
    »Hebst du den Schweinsfuß auf?« fragte Vincent.
    »Warum nicht? Wo kann ich Marthe finden?«
    »Die letzten Tage hat sie sich eine Ecke unter dem Vordach hinter Baum 16 eingerichtet«, murmelte Vincent.
    »Ich verzieh mich. Versuch ein Foto von dem Typen zu bekommen.«
    Vincent nickte und sah Kehlweiler zu, wie er mit seinem langsamen, aufrechten und, seit er sich das Knie bei einem Brand zerfetzt hatte, etwas zur Seite geneigten Gang davonging. Er nahm ein Blatt und notierte: »Hat keine Großmutter gekannt. Rausfinden, ob das auch für Großväter gilt.« Er schrieb alles auf. Er hatte von Kehlweiler dessen Art übernommen, alles wissen zu wollen, außer bei Verbrechen des bürgerlichen Rechts. Es war schwierig, etwas über diesen Mann zu erfahren, er ließ nicht viel raus. Man konnte wissen, daß er aus dem Departement Cher stammte, aber gut, das führte nicht viel weiter.
    Vincent hörte nicht mal, wie die alte Marthe sich auf die Bank fallen ließ.
    »Na, beißt er an?«
    »Meine Güte, Marthe, hast du mich erschreckt. Red nicht so laut.«
    »Na, beißt er an? Der Ultrareaktionäre?«
    »Noch nicht. Ich bin geduldig. Ich bin mir praktisch sicher, den Kerl wiedererkannt zu haben, aber auch Gesichter werden älter.«
    »Du mußt dir Notizen machen, Kleiner, viele Notizen.«
    »Ich weiß. Weißt du, daß Louis keine Großmutter gekannt hat?«
    Marthe machte eine ausladende Geste der Unwissenheit.
    »Völlig unwichtig«, brummelte sie. »Louis leistet sich so viele Ahnen, wie er will, also … Wenn du ihm zuhören würdest, hat er zehn Millionen Ahnen. Manchmal ist einer namens Talleyrand dabei, der kommt häufig wieder, oder auch … wie heißt der Kerl? … Na ja, jedenfalls zehn Millionen. Sogar vom Rhein sagt er, der wäre sein Ahne. Das ist dann doch übertrieben.«
    Vincent lächelte.
    »Aber seine wirklichen Vorfahren«, sagte er, »hat keiner gesehen, keiner gekannt, da weiß man nichts.«
    »Na, jedenfalls red nicht mit ihm drüber, man soll die Leute nicht nerven. Du bist nichts anderes als ein Im-Dreck-Wühler, alter Freund.«
    »Ich denke mir, du weißt einiges.«
    »Halt’s Maul!« erwiderte Marthe heftig. »Talleyrand ist sein Großvater, hast du’s kapiert? Reicht dir das nicht?«
    »Marthe, sag jetzt nicht, daß du das glaubst! Du weißt ja nicht mal, wer Talleyrand ist. Er ist vor hundertfünfzig Jahren gestorben.«
    »Das ist mir egal, verstehst du? Wenn Talleyrand mit dem Rhein geschlafen hat, um Ludwig zu zeugen, dann hatten sie sicher beide einen guten Grund dafür, und das ist ihre Sache. Alles andere ist mir egal! Ha, ich reg mich auf, aber was willst du denn eigentlich von ihm?«
    »Mein Gott, Marthe, da ist er«, flüsterte Vincent plötzlich und drückte ihren Arm. »Der Typ da, der Ultrareaktionäre mit dem Dreck am Stecken. Los, spiel die alte Nutte, ich mach den Säufer, wir kriegen ihn.«
    »Mach dir keine Sorgen, ich weiß, wie das geht.«
    Vincent sackte schlaff an Marthes Schulter und zog einen Teil ihrer Stola über sich. Der Mann kam aus dem Gebäude gegenüber, jetzt hieß es schnell sein. Geschützt hinter der Stola, richtete er seinen Fotoapparat auf ihn und fotografierte durch die auseinandergezogenen Maschen der feuchten Strickware hindurch. Dann war der Mann außer Sichtweite.
    »Fertig?« fragte Marthe. »Ist er im Kasten?«
    »Ich glaube … Bis bald, Marthe, ich folge ihm.«
    Mit unsicheren Schritten brach Vincent auf. Marthe lächelte. Den verstörten Säufer konnte er gut. Dazu war zu sagen, daß er mit zwanzig, als Ludwig ihn in einer Bar aufgelesen und da rausgeholt hatte, schon einige Erfahrungen gemacht hatte. Vincent war ein ordentlicher Kerl und außerdem beschlagen in Kreuzworträtseln. Trotzdem wäre es ganz gut, wenn er aufhören würde, in Ludwigs Leben herumzuschnüffeln. Zuneigung nimmt manchmal ein bißchen inquisitorische Wege. Marthe fröstelte. Ihr war kalt. Sie wollte es nicht zugeben, aber ihr war kalt. Die Geschäftsinhaber hatten sie am Morgen unter dem Vordach weggejagt. Wohin, verdammt, wohin? Steh auf, meine Liebe, du mußt laufen, darfst dir nicht den Hintern abfrieren auf der 102, mußt laufen. Marthe führte Selbstgespräche, das war nicht selten.

4
    Louis Kehlweiler betrat gut vorbereitet das Hauptkommissariat des 5. Arrondissements. Die Sache war einen Versuch wert. Er warf einen prüfenden Blick auf sein Spiegelbild in der

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