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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ein paar Worte gewechselt, und sie ist verschwunden.«
    Vincent hatte inzwischen eine kleine Schere herausgeholt und schnitt Artikel aus einem Stapel Tageszeitungen aus.
    »Machst du jetzt dasselbe wie ich? Schneidest du alles aus?«
    »Der Schüler muß seinen Lehrer nachahmen, bis er ihm auf die Nerven geht und der Lehrer ihn rausschmeißt, das Zeichen dafür, daß der Schüler bereit ist, seinerseits Lehrer zu werden, nicht wahr? Geh ich dir jetzt zum Beispiel auf die Nerven?«
    »Nicht im geringsten. Aber du kümmerst dich nicht ausreichend um die Provinz«, sagte Kehlweiler, während er den Stapel Zeitungen durchblätterte, die Vincent neben sich gelegt hatte. »Zuviel Paris.«
    »Ich habe keine Zeit. Ich hab nicht wie du Typen, die mir schon vorbereitete Sachen aus allen Ecken Frankreichs schicken, ich bin kein alter Bonze. Später mal werd ich auch meine verborgene Truppe haben. Wer sind die Leute deiner Großen Armee?«
    »Männer wie du, Frauen wie du, Journalisten, politisch Aktive, Neugierige, Untätige, Im-Dreck-Wühler, Richter, Cafébesitzer, Philosophen, Bullen, Zeitungsverkäufer, Maroni-Verkäufer …«
    »Das reicht«, sagte Vincent.
    Kehlweiler warf rasche Blicke auf das Baumgitter, auf Vincent, auf die Umgebung.
    »Hast du was verloren?« fragte Vincent.
    »In gewisser Weise ja. Und was ich mit der einen Hand verloren habe, glaube ich mit der anderen wieder zurückzuholen. Bist du sicher, daß sich heute morgen niemand hier hingesetzt hat? Bist du bei deiner Lektüre auch nicht eingeschlafen?«
    »Nach sieben Uhr morgens schlafe ich nicht wieder ein.«
    »Großartig.«
    »Die regionale Presse«, fuhr Vincent eigensinnig fort, »das ist bürgerliches Recht, das führt zu nichts, es sind doch immer wieder dieselben privaten kleinen Delikte, die interessieren mich nicht.«
    »Und damit liegst du falsch. Ein vorsätzliches Verbrechen, eine private Verleumdung, eine kleine willkürliche Anschuldigung führen durchaus irgendwohin, auf einen großen Misthaufen, auf dem Sauereien in großem Maßstab und gemeinschaftlicher Konsens gären. Besser, man kümmert sich um alles, ohne auszusortieren. Ich bin Generalist.«
    Vincent brummte etwas, während Kehlweiler aufstand, um sich das Baumgitter anzusehen. Vincent kannte Kehlweilers Theorien genau, unter anderem die Geschichte mit der linken und der rechten Hand. Die linke Hand, verkündete Louis, hob die Arme und spreizte die Finger, ist unvollkommen, ungeschickt, zögernd und folglich die nützliche Hervorbringerin von Verwirrung und Zweifel. Die rechte Hand ist die sichere, entschlossene, die Bewahrerin des Könnens, Führerin des menschlichen Genies. Bei ihr liegen Beherrschung, Methode und Logik. Vorsicht, Vincent, jetzt mußt du mir genau folgen: Kaum neigst du ein bißchen zu stark zu deiner rechten Hand, nur zwei Schritt mehr, und schon sprießen Strenge und Gewißheit, siehst du sie? Geh noch ein bißchen weiter, drei Schritt mehr, und es kommt das tragische Umkippen in die Perfektion, ins Tadellose und dann ins Unfehlbare und Erbarmungslose. Dann bist du nur noch ein halber Mann, der extrem auf seine rechte Seite geneigt läuft, des hohen Wertes der Verwirrung nicht bewußt, ein ärgerlicher Schwachkopf, der den Tugenden des Zweifels nicht zugänglich ist. Das kann auf hinterhältigere Weise kommen, als du dir vorstellst, glaub nicht, daß du geschützt bist, man muß auf sich aufpassen, du hast zwei Hände, die sind nicht nur zum Anschauen da. Vincent lächelte und bewegte seine Hände. Er hatte gelernt, die geneigt laufenden Menschen zu suchen, aber er wollte sich nur um Politisches kümmern, während Louis sich immer um alles gekümmert hatte. Einstweilen lehnte Louis noch immer am Baum, den Blick auf das Gitter gerichtet.
    »Was machst du da?« fragte Vincent.
    »Siehst du dieses weißliche Ding da auf dem Baumgitter?«
    »Halbwegs.«
    »Ich hätte gern, daß du mir das bringst. Mit meinem Knie kann ich nicht in die Hocke gehen.«
    Vincent stand seufzend auf. Er hatte die Vorschläge Kehlweilers, des geistigen Vorbilds in Sachen Verwirrung, nie in Frage gestellt, da würde er nicht jetzt damit anfangen.
    »Nimm ein Taschentuch, ich glaube, es stinkt.«
    Vincent schüttelte den Kopf und reichte Kehlweiler die zerbrechliche Kleinigkeit in einem Stück Zeitung, weil er kein Taschentuch hatte. Er setzte sich wieder auf die Bank, nahm seine Schere und ignorierte Kehlweiler; alles Entgegenkommen hat Grenzen. Aber aus den Augenwinkeln beobachtete er,

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