Das Paradies am Fluss
etwas anzubieten.
Doch Jess ist viel zu aufgeregt, um Hunger zu verspüren. Am liebsten hätte sie alles herausgesprudelt.
Ich habe einen Preis gewonnen. Einen richtig bedeutenden. Den David-Porteous-Preis für botanische Malerei, der an junge Künstler verliehen wird. Und ich fahre nach London, um ihn entgegenzunehmen. Ist das nicht großartig?
Aber das sagt sie nicht, damit die anderen nicht denken, sie wolle angeben – oder sei ein wenig gestört. Stattdessen sieht sie aus dem Fenster und fragt sich, wie gut sie in ihren Botanikprüfungen abgeschnitten hat und was für eine Abschlussnote sie wohl bekommt. Der Preis – bei dem Gedanken zappelt sie unwillkürlich ein wenig auf ihrem Platz – ist mit einem Scheck über zehntausend Pfund verbunden.
Alle, sogar ihre Mutter und ihr Stiefvater, sind sehr beeindruckt. Jess selbst betrachtet das Geld als Chance. Es verschafft ihr Freiraum, die Möglichkeit festzustellen, ob sie jetzt vielleicht eine Laufbahn als Künstlerin einschlagen will, statt zu unterrichten, was sie ursprünglich vorhatte. Ihr Stiefvater ist allerdings immer noch der Meinung, sie solle sofort ihre Lehrerausbildung beginnen. »Malen kannst du in deiner Freizeit«, sagt er, als wäre die Malerei für sie nur ein Hobby, etwas, das sie nebenbei betreiben kann. Wenn sie versucht, ihm ihre Leidenschaft für die Malerei zu erklären, erinnert er sie daran, dass Anthony Trollope alle seine Bücher nach einem anstrengenden Arbeitstag im Büro geschrieben hat.
Ihr Stiefvater ist fantasielos und oberlehrerhaft, und sie möchte ihn am liebsten anschreien. Wenn sie aneinandergeraten, was sich häuft, seit Jess die Schule abgeschlossen hat, schaut ihre Mutter immer nervös, aber ziemlich streng drein, und Jess weiß, dass sie sich nicht auf ihre Seite schlagen wird.
»Ich finde, du solltest auf ihn hören, Jess«, sagt sie, irritiert über die Aussicht auf einen Streit und die Störung des sorgfältig aufrechterhaltenen Friedens in dieser äußerst kontrollierten Umgebung. »Er ist nicht dort hingelangt, wo er heute ist, ohne …«
Und Jess hört ihm höflich zu, wobei sie sich unvermeidlich an diese Person in der Reggie-Perrin-Serie erinnert fühlt – »Habe ich recht, oder habe ich recht?« –, und handelt dann nach eigenem Gutdünken. In diesem Fall wird sie sich vielleicht eine Auszeit von einem Jahr nehmen, um auf dieser erstaunlichen Leistung aufzubauen.
Selbst der Anblick von Tweedledum und Tweedledee, die sich langsam und stetig Sandwiches, Kuchen und Schokoriegel einverleiben, verdirbt ihr die reine Freude dieses Augenblicks nicht. Ihre Gedanken schweifen nervös zu ihrem neuen Kleid in der Tasche, die in der Gepäckablage über ihrem Kopf steht – ist es angemessen für eine Verleihung? –, und dem Telefongespräch, das sie mit Kate Porteous geführt hat, David Porteous’ Witwe. Kate hat freundlich und begeistert darüber geklungen, dass Jess den Preis gewonnen hat, und freut sich darauf, sie kennenzulernen. Jess ist dankbar für den Anruf.
»Treffen wir uns doch vor der Verleihung«, hat Kate vorgeschlagen. »Warum nicht? Oder nimmt Ihre Familie Sie zu sehr in Beschlag?«
»Nein«, antwortete Jess leicht verlegen. Sie hat keine Familienmitglieder, die sie unterstützen, ermutigen oder ihre Freude teilen könnten – weder Geschwister noch Cousins oder Cousinen. Und die einzige Großmutter, die sie noch hat, lebt in Australien. Und sie möchte sich nicht in Details über ihre Mum ergehen, die zu viel mit irgendeinem diplomatischen Empfang zu tun hat, um zur Verleihung über den Ärmelkanal zu kommen. »Aber zwei Freunde von der Uni nehmen an der Zeremonie teil.«
»Großartig. Hören Sie, ich gebe Ihnen meine Adresse. Davids Tochter hat sein Atelier behalten, und ich kann es benutzen, wenn ich in London bin. Ich war seine zweite Frau, verstehen Sie? Wann wollen Sie anreisen? Ich komme am Vortag aus Cornwall …«
Sie haben sich noch ein wenig unterhalten und die Verabredung getroffen. Jess würde Kate in Davids Atelier treffen – seinem richtigen Atelier, in dem die meisten seiner Arbeiten entstanden sind –, und dann würden sie zum Abendessen ausgehen und sich über das Leben mit dem großen Künstler unterhalten. Das ist das Sahnehäubchen. Jess beißt sich auf die Lippen, damit sie aus purem Vergnügen über diese Aussichten nicht einfältig grinst.
Tweedledum und Tweedledee stillen jetzt ihren Durst mit Sprudelgetränken aus der Dose. Sie sitzen dicht zusammengequetscht,
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