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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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und auf mysteriöse Weise kamen und gingen, waren verschwunden. Er legte sich jedoch aus Vorsicht weiterhin Senfpflaster auf und wickelte sich die Waden, wie Doktor Fernouil in Paris ihm verordnet und die Ärzte im Hospital Vaiami ihm geraten hatten. Seit längerem schon litt er nicht mehr unter den Blutungen aus dem Mund, die kurz nach seiner Ankunft in Tahiti aufgetreten waren. Er fuhr fort, kleine Holzfiguren zu schnitzen, polynesische Götter, die er ausgehend von den heidnischen Göttern seiner Photo-Sammlung erfand, während er im Schatten des großen Mangobaums saß, machte Skizzen und nahm neue Bilder in Angriff, die er jedoch rasch wieder aufgab. Wie etwas malen, nach Manao tupapau ? Du hattest recht gehabt, Koke, mit deinen Reden in Le Pouldu, in Pont-Aven, im Café Voltaire in Paris oder bei deinen Streitereien mit dem verrückten Holländer in Arles: Malen war keine Frage des Handwerks, sondern der Umstände, keine Frage der Fertigkeit, sondern der Phantasie und der Hingabe des eigenen Lebens. »Als würde man dem Trappistenorden beitreten, um nur für Gott zu leben, meine Brüder.« In der Nacht von Teha’amanas Schrecken war der Schleier des Alltäglichen zerrissen, so sagtest du dir, und eine tiefe Wirklichkeit hervorgetreten, in der du zu den Anfängen der Menschheit zurückkehren und den Vorfahren von gleich zu gleich begegnen konntest, die in einer noch magischen Welt, in der Götter und Dämonen sich mit den Menschen mischten, ihre ersten Schritte in der Geschichte taten.
    Ließen sich die Umstände, unter denen, wie in der Nacht des tupapau , die Zeitschranken fielen, künstlich herstellen? Um dies herauszufinden, veranstaltete er jene tamara’a , für die er – eine dieser unüberlegten Handlungen, die sein ganzes Leben bestimmten – den Großteil einer bedeutenden Überweisung (achthundert Francs) ausgab,die Daniel de Monfreid ihm nach dem Verkauf zweier seiner bretonischen Bilder an einen Reeder in Rotterdam geschickt hatte. Kaum hielt er das Geld in den Händen, teilte er Teha’amana seine Pläne mit: Sie würden viele Freunde einladen, singen, essen, tanzen und sich eine ganze Woche lang betrinken.
    Sie gingen zum Lebensmittelhändler in Mataiea, zum Chinesen Aoni, um die aufgelaufenen Schulden zu bezahlen. Aoni, ein dicker Mann mit schweren Schildkrötenlidern, der sich mit einem Stück Karton Luft zufächelte, blickte verwundert auf das Geld, mit dem er nicht mehr gerechnet hatte. Koke entfaltete seine ganze Großzügigkeit und kaufte einen gewaltigen Vorrat an Konservendosen, Rinderfleisch, Käse, Zucker, Reis, Bohnen und Getränken: literweise Roséwein, Flaschen mit Absinth, Karaffen mit Bier und mit dem Rum der Zuckermühlen der Insel.
    Sie luden ein Dutzend einheimischer Paare aus der Gegend um Mataiea und einige Freunde aus Papeete ein, wie Leutnant Jénot, die Drollets und die Suhas, Beamte der Kolonialverwaltung. Der pragmatische, liebenswürdige Jénot erschien wie immer mit Lebensmitteln und Getränken beladen, die er zum Selbstkostenpreis im Warenlager der Militärs erstand. Die tamara’a , ein Gericht auf der Grundlage von Fisch, Kartoffeln und Gemüse, die in der Erde gekocht wurden, wo sie, eingewickelt in Bananenblätter, zwischen heißen Steinen garten, war köstlich. Als sie mit dem Essen fertig waren, brach die Dämmerung herein; die Sonne war eine Feuerkugel, die hinter den funkelnden Felsenriffen versank. Jénot und die beiden französischen Ehepaare verabschiedeten sich, denn sie wollten noch am gleichen Tag nach Papeete zurückkehren. Koke holte seine beiden Gitarren und seine Mandoline herunter und unterhielt seine Gäste mit bretonischen Liedern und Pariser Modestücken. Besser, von Einheimischen umgeben zu sein. Die Anwesenheit von Europäern war immer ein Hemmnis, hinderte die Tahitianer daran, ihren Trieben freien Lauf zu lassen und sich wirklich zu vergnügen. Das hatte erschon in seinen ersten Tagen hier bei den Freitagsbällen auf dem Marktplatz feststellen können. Der Spaß begann erst richtig, wenn die Seeleute auf ihre Schiffe und die Soldaten in ihre Kaserne zurückkehren mußten und eine Menschenmenge fast ohne popa’a zurückblieb. Seine Freunde aus Mataiea waren ziemlich betrunken, Männer wie Frauen. Sie tranken Rum mit Bier oder mit Fruchtsäften. Einige tanzten, andere sangen gemeinsam einheimische Lieder, langsam und getragen. Koke half, das Feuer anzuzünden, nicht weit vom großen Mangobaum entfernt, durch dessen polypenartige, dicht

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