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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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von den verachtenswerten, den Kunstmarkt beherrschenden Snobs Abgelehnte, nicht besaßest und nie besitzen würdest. Aber du hattest überlebt, Koke, hattest gemalt und deine Palette um diese Farben bereichert und warst getreu deinem Wahlspruch – »das Recht, alles zu wagen« – alle Risiken eingegangen, wie die großen Schöpfer.
    Du würdest Teha’amana deine Rückreisepläne erst im letzten Augenblick mitteilen. Auch das ging zu Ende. Du solltest diesem Mädchen dankbar sein. Ihr kleiner junger Körper, ihre Hingabefähigkeit, ihr wacher Geist hatten dir Genuß verschafft, dich verjüngt und dir zuweilen das Gefühlgegeben, ein Wilder zu sein. Ihre natürliche Lebendigkeit, ihre Fürsorge, ihre Gelehrigkeit, ihre Gesellschaft hatten dir das Leben erträglich gemacht. Doch die Liebe hatte keinen Platz in deinem Dasein, war ein Hindernis für deine Aufgabe als Künstler, denn sie verbürgerlichte die Männer. Jetzt, mit deinem Samen in ihrem Leib, würde das Mädchen allmählich anschwellen und eine dieser fetten, monströsen Eingeborenen werden, und du würdest für sie anstelle von Zärtlichkeit und Begehren nur noch Abscheu empfinden können. Es war besser, diese Beziehung abzubrechen, bevor sie ein böses Ende fände. Und der Sohn oder die Tochter, die du haben würdest? Nun ja, ein Bastard mehr in dieser Welt von Bastarden. Von der Vernunft her warst du überzeugt, recht zu handeln, wenn du nach Frankreich zurückkehrtest. Doch etwas in dir glaubte es nicht, denn in den acht folgenden Monaten, bis du dich schließlich im Juni 1893 auf der Duchaffault nach Nouméa einschifftest, der ersten Etappe deiner Rückkehr nach Europa, warst du unruhig, mißmutig und voll Furcht, einen schweren Irrtum zu begehen.
    Er tat vieles in diesen acht Monaten, doch als er glaubte, er könne ein zweites tahitianisches Meisterwerk malen, täuschte er sich. Er hatte sich von Mataiea nach Papeete begeben, um nachzusehen, ob Briefe oder irgendeine Überweisung für ihn eingetroffen waren, und erfuhr in der Stadt, daß im Haus seines Freundes Aristide Suhas große Erschütterung herrschte, da dessen kleiner, zwanzig Monate alter Sohn im Sterben lag. Er traf ein, als das Kind gerade an einer Darminfektion gestorben war. Als er das tote Kind, das spitze Gesicht, die wächserne Haut sah, verspürte er einen erregenden Kitzel. Er zögerte nicht; mit einem Ausdruck gespielten Schmerzes umarmte er Aristide und Madame Suhas und schlug ihnen vor, ein Porträt des verstorbenen Kindes zu malen und es ihnen zu schenken. Ehemann und Ehefrau schauten sich mit verweinten Augen an und willigten ein: Es würde ihnen helfen, ihn weiterhin bei sich zu behalten.
    Er fertigte einige Skizzen an, arbeitete weiter während der Totenwache und malte das Bild dann auf einer seiner letzten Leinwände, behutsam und detailgetreu. Er verwandte besondere Sorgfalt auf das Gesicht des Kindes, das mit geschlossenen Augen und einem Rosenkranz in den kleinen gefalteten Händen dalag, ein Gesicht, das den Augenblick des Hinscheidens ausdrückte. Doch als er Madame Suhas das Bild brachte, dankte sie ihm nicht für das Geschenk, sondern reagierte empört. Niemals würde sie dieses Porträt in ihrem Haus dulden.
    »Aber was ist denn Beleidigendes daran?« fragte Koke, der über die Reaktion der Frau des Siedlers nicht wirklich unerfreut war.
    »Das ist nicht mein Kind. Das ist ein Chinesenkind, einer dieser Gelben, die uns hier allmählich überschwemmen. Was haben wir Ihnen getan, daß Sie unseren Schmerz verhöhnen und unserem Engel ein Chinesengesicht geben?«
    Er konnte sich das Lachen nicht verkneifen, und die Suhas warfen ihn aus dem Haus. Zurück in Mataiea, betrachtete er das Porträt mit neuen Augen. Ja, es war dir unter der Hand orientalisch geraten. Und so taufte er sein neues Werk um, auf einen mythischen Namen der Maori: Porträt des Prinzen Atiti .
    Einige Zeit später, als er merkte, daß Teha’amanas Bauch nicht wuchs, obwohl schon vier Monate seit dem Tag vergangen waren, als sie ihm ihre Schwangerschaft verkündet hatte, fragte er sie danach.
    »Ich hatte eine Blutung und habe es verloren«, sagte sie, ohne ihre Stopfarbeit zu unterbrechen. »Ich habe vergessen, es dir zu erzählen.«

III

Bastardin und gesetzesflüchtig
Dijon, April 1844
    Statt sich von Auxerre direkt nach Dijon zu begeben, machte Flora jeweils einen Tag lang Station in Avallon und Semur, obwohl beide Orte nicht in ihrem Reiseplan enthalten waren. In Buchhandlungen beider Ortschaften

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