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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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und nachbesserte, dazu trieb, seine vahine jede Nacht und manchmal auch am Tage in seinem Atelier zu besitzen. Während er das Bild malte, fühlte er wie selten zuvor, daß er recht gehabt hatte, als er den jungen Leutender Pension Gloanec, die ihm damals in der Bretagne begeistert zugehört und sich seine Jünger genannt hatten, versicherte: »Um wirklich zu malen, muß man den zivilisierten Menschen abschütteln, der auf unseren Schultern hockt, und den Wilden herauslassen, den wir in uns tragen.«
    Ja: Das war wirklich das Bild eines Wilden. Er betrachtete es mit Genugtuung, als es in seinen Augen fertig war. Wie in der Vorstellung der Wilden verbanden sich auf ihm das Wirkliche und das Phantastische in einer einzigen Realität. Dunkel, leicht düster, von Religiosität und Begehren, von Leben und Tod durchdrungen. Die untere Hälfte war objektiv, realistisch; die obere subjektiv und irreal, aber nicht weniger authentisch als die andere. Das nackte Mädchen wäre obszön ohne die Angst in den Augen und diesen Mund, der sich zu einer Grimasse zu verzerren begann. Doch die Angst minderte ihre Schönheit nicht, sondern vergrößerte sie noch durch die verführerische Position ihrer Hinterbacken. Ein Altar aus Menschenfleisch für eine barbarische Zeremonie zu Ehren eines kleinen heidnischen, grausamen Gottes. Und im oberen Teil das Gespenst, das in Wahrheit eher deiner als der tahitianischen Welt entstammte, Koke. Es glich nicht den Dämonen mit Klauen und Wolfszähnen, wie Moerenhout sie beschrieben hatte. Es war eine kleine vermummte Alte, ähnlich den Greisinnen in der Bretagne, die in deiner Erinnerung stets lebendig waren, zeitlose Frauen, denen du auf den Wegen von Finistère begegnet warst, als du in Pont-Aven oder in Le Pouldu lebtest. Sie wirkten, als wären sie schon halbtot, schon zu Lebzeiten zum Gespenst geworden. Es gehörten zur objektiven Welt, wenn denn eine Statistik nötig war, die Matratze, schwarzbraun wie das Haar des Mädchens, die gelben Blumen, das grünliche Laken aus Baumbast, das blaßgrüne Kissen und das rosafarbene Kissen, dessen Ton auf die Oberlippe des Mädchens abgefärbt zu haben schien. Diese Ordnung der Wirklichkeit hatte ihr Gegenstück im oberen Teil: dort waren die luftigen Blumenwie Funken, Lichtblitze, phosphoreszierende, schwerelose Feuerkugeln, die an einem malvenfarbenen, ins Bläuliche spielenden Himmel schwebten, dessen Pinselstriche an die Lanzen eines Wasserfalls denken ließen.
    Das Gespenst, das im Profil dargestellt war, lehnte still und ruhig mit dem Rücken an einem zylindrischen Pfahl, einem Totem mit abstrakten Formen in fein abgestuften rötlichen Tönen und einem glasierten Blau. Diese obere Hälfte bestand aus einer flirrenden, entgleitenden, ungreifbaren Materie, die wirkte, als könnte sie sich jeden Augenblick verflüchtigen. Aus der Nähe betrachtet, hatte das Gespenst eine gerade Nase, geschwollene Lippen und das große starre Auge der Papageien. Es war dir gelungen, dem Ganzen eine bruchlose Harmonie zu verleihen, Koke. Von ihm ging die Musik des Totengeläuts aus. Das Licht troff aus dem grünlichen Gelb des Lakens und dem orangefarben geränderten Gelb der Blumen.
    »Wie soll ich es nennen?« fragte er Teha’amana, nachdem er viele Titel ausprobiert und alle verworfen hatte.
    Das Mädchen überlegte ernst. Dann nickte es, wie zur eigenen Bestätigung: » Manao tupapau. « Aus Teha’amanas Erklärungen ging nicht hervor, ob die richtige Übersetzung lautete: »Sie denkt an den Geist des Toten« oder »Der Geist des Toten erinnert sich an sie«. Diese Ambivalenz gefiel ihm.
    Eine Woche nach Beendigung seines Meisterwerks nahm er noch immer Retuschen vor und verbrachte ganze Stunden vor der Leinwand, in ihre Betrachtung vertieft. Du hattest es geschafft, Koke, nicht wahr? Das Bild ließ keine zivilisierte, europäische, christliche Hand erkennen. Eher die eines ehemaligen Europäers, eines ehemaligen Zivilisierten und Christen, der durch Willenskraft und abenteuerliche und leidvolle Erfahrungen das frivole Gehabe der dekadenten Pariser abgelegt hatte und zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt war, zu dieser glanzvollen Vergangenheit, in der Religion und Kunst, dieses Leben und das andere eine einzige Realität bildeten. In den Wochen, die auf Manao tupapau folgten, empfand Paul eine innere Gelassenheit, wie er sie lange Zeit nicht mehr erlebt hatte. Die Schwären, die kurz vor seiner Abreise aus Europa vor zwei Jahren an seinen Beinen erschienen waren

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