Das Paradies ist anderswo
zurückgibst, was sie dir geliehen haben, jetzt, wo du Geld bekommen hast.«
Er zahlte ihnen und anderen Nachbarn, was er ihnen schuldete, und mußte dann entdecken, daß ihm von Daniel de Monfreids Überweisung nur noch hundert Francs blieben. Wie lange würden sie davon leben können? Er hatte fast keine Leinwand und keine Rahmen mehr, der Zeichenkarton war ihm ausgegangen, und sogar Farbtuben blieben ihm nur noch wenige. Nach Frankreich zurückgehen, Paul? Konntest du in deinem Zustand und angesichts dieser düsteren Zukunft noch von Tahiti profitieren? Wenn du nach Europa zurückkehren wolltest, mußtest du außerdem sofort handeln. Die Reise zu bezahlen war dir schlicht unmöglich. Du konntest dich nur repatriieren lassen. Nach dem französischen Recht hattest du Anspruch darauf. Da jedoch die Mühlen des Gesetzes langsam mahlten, mußten Monfreid und Schuffenecker in Paris unbedingt entsprechende Schritte im Ministerium unternehmen. Bis sie tätig wurden und du die offizielle Antwort erhieltest,sechs oder acht Monate, mindestens. Also Hand ans Werk, ohne Zeit zu verlieren.
Am selben Tag, noch immer mitgenommen von den Folgen seines Alkoholkonsums bei der tamara’a , schrieb er seinen Freunden mit der dringenden Bitte, im Ministerium vorzusprechen, damit der Direktor der Kunstakademie (war es noch immer Monsieur Henri Roujon, der ihm für seine Reise nach Tahiti einige Empfehlungsschreiben mitgegeben hatte?) seiner Repatriierung zustimmte. Er schrieb auch diesem einen langen Brief, in dem er sein Ansinnen mit seiner gesundheitlichen Verfassung und seiner totalen Mittellosigkeit begründete, und schließlich einen Brief an seine in Kopenhagen lebende rechtmäßige Ehefrau Mette, in dem er ihr ankündigte, daß sie sich in einigen Monaten sehen würden, da er beschlossen habe, nach Frankreich zurückzukehren, um das Ergebnis seiner Arbeit in der Südsee zu präsentieren. Ohne Teha’amana etwas von seinen Plänen zu erzählen, kleidete er sich an und begab sich nach Papeete, um die Briefe aufzugeben. Die Post, in der Hauptstraße der Stadt, der Rue de Rivoli, gelegen und von hohen Obstbäumen und großen vornehmen Häusern umgeben, war kurz davor, zu schließen. Der Älteste der Angestellten (Foncheval oder Fonteval?) sagte ihm, die Post gehe innerhalb kurzer Zeit über die australische Route hinaus, die Kerrigan sei zum Auslaufen bereit. Zwar sei die Strecke länger, dafür aber sicherer als die über San Francisco, denn es gebe weniger Umladungen, bei denen oft Sendungen verlorengingen.
Er trat in eines der Hafenlokale, um etwas zu trinken. Er hatte die Entscheidung, nach Paris zurückzukehren, nur ein Jahr nach seiner Ankunft getroffen und würde sie nicht rückgängig machen, aber er fühlte sich nicht im Einklang mit sich selbst. Wenn er ehrlich war, dann handelte es sich um eine Flucht infolge einer Niederlage. Bei allen Gesprächen mit dem verrückten Holländer in Arles, in der Bretagne oder mit Bernard, Morice und dem guten Schuff in Paris, bei allen Träumen, die um das Bedürfnis kreisten,sich auf die Suche nach einer unberührten, von der europäischen Kunst nicht vereinnahmten Welt zu machen, war es im Kern auch darum gegangen, vor der verfluchten täglichen Plackerei der Geldbeschaffung, vor der täglichen Existenzangst zu fliehen. Der Wunsch, auf natürliche Weise zu leben, von der Erde, wie die Primitiven – die gesunden Völker –, hatte ihn nach Panama und Martinique geführt und ihn danach veranlaßt, Erkundigungen über Madagaskar und Tonkin einzuholen, bevor er sich dann für Tahiti entschied. Doch entgegen deinen Träumen konnte man auch hier nicht »auf natürliche Weise« leben, Koke. Man konnte nicht nur von Kokosnüssen, Mangos und Bananen leben, das einzige, was die Zweige der Bäume kostenlos boten. Noch dazu wuchsen die roten Bananen nur in den Bergen, und man mußte steile Anhöhen erklimmen, um sie pflücken zu können. Du würdest nie lernen, das Land zu bebauen, denn diese Tätigkeit erforderte so viel Zeit, daß dir das Malen unmöglich gewesen wäre. Auch hier, der Landschaft und den Eingeborenen zum Trotz, die nur mehr ein blasser Abglanz der einst fruchtbaren Zivilisation der Maori waren, bestimmte also das Geld über Leben und Tod der Menschen und verurteilte die Künstler dazu, sich dem Gott Mammon zu unterwerfen. Wenn du nicht Hungers sterben wolltest, mußtest du bei den chinesischen Händlern Konserven kaufen, Geld ausgeben, ein Geld, das du, der Unverstandene, der
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