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Das Paradies ist weiblich

Titel: Das Paradies ist weiblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricardo Coler
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uns im Innenhof des Hauses der Matriarchin Yasi, bei der ich untergebracht bin. Ich will dort eine
     kleine Kostprobe geben, wie man dort tanzt, wo ich herkomme.«
    |119| »Wie tanzt man denn bei Ihnen?«
    »Paarweise … Kann ich mit Ihnen rechnen?«
    Sie schauen sich an und nicken.
    »Darf ich noch ein paar Fotos machen, bevor ich gehe?«
    »Natürlich.«
    Einer klettert in sein Boot, nimmt die Ruder, so als wolle er gleich aufbrechen, und verharrt dann reglos in dieser Pose.
     Sein Kollege lehnt sich an einen Baum, klappt die Hutkrempe herunter und schiebt sich die Zigarette in den Mundwinkel. Weitere
     Fotos für meine Sammlung.

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    |120| 16
    Tsie holt mich ab. Im Dorf gibt es einen Mann, der mit einer Frau zusammenlebt, sie will mich zu ihm führen. Er heißt Chu
     Tsi und ist zweiundvierzig.
    Wenn ein nicht blutsverwandter Mann bei einer Matriarchin einzieht, gibt es dafür eigentlich nur einen Grund: Ihre Familie
     ist männerlos, das heißt, es gibt weder Brüder noch Cousins, und auf dem Hof wird dringend männliche Unterstützung benötigt.
     Normalerweise wird in einem solchen Fall zunächst daran gedacht, einen fernen Verwandten der Matriarchin zu adoptieren, etwa
     den Sohn ihrer Cousine. Nur wenn das nicht möglich ist, greift man auf einen Fremden zurück, zum Beispiel den Vater der Kinder.
    Unsere Form des Zusammenlebens ist für sie die letzte Wahl, doch zur Sicherung des Lebensunterhalts sind sie im Notfall auch
     dazu bereit.
    Wir betreten das Haus. Im Halbdunkel des Wohnraums sitzt ein Mann und raucht. Mit der letzten Glut der einen zündet er sich
     die nächste Zigarette |121| an. Tsie stellt uns einander vor und verabschiedet sich dann.
    Chu Tsi ist schlank und wortkarg, sein Gesicht ausdruckslos. Nach eigenen Angaben stammt er aus armen Verhältnissen. Er lebt
     mit seiner Partnerin und seinen Töchtern zusammen, die er als seine Angehörigen bezeichnet. Mehr sagt er nicht dazu. Doch
     man spürt, wenn man diesem ketterauchenden Mann mit den hängenden Schultern gegenübersitzt, dass er sich als Gefangenen der
     Umstände betrachtet, fernab von seiner eigentlichen Bestimmung.
    Als er gefragt wurde, ob er bei der Frau leben wolle, mit der er eine Besuchsehe pflegte, so berichtet Chu Tsi, habe er sich
     mit seiner engsten Vertrauten, seiner Mutter, beraten. Gemeinsam hätten sie finanzielle Not und möglichen Nutzen abgewägt,
     mit dem Ergebnis, dass Chu zu den jungen Frauen zog.
    »Ist es denn nicht schön, mit einer Frau zusammenzuleben?«
    »Bei meiner Familie, das war eine schöne, unbeschwerte Zeit.«
    Jetzt steht Chu Tsi unter der Vormundschaft seiner ältesten Tochter, der Matriarchin. Er sagt, man behandle ihn gut und er
     liebe die Mädchen wie seine eigenen Nichten, doch er vermisse sein früheres |122| Leben. Er spricht von sich wie von einem alten Mann.
    »Wären Sie gern das Familienoberhaupt?«
    »Bei den Frauen ist man in den besten Händen.«
    Ich will wissen, ob seine Töchter ihn an irgendetwas hinderten, das er gern tun würde, oder ob sie ihm etwas verböten.
    Nein, nein, sagt er, keineswegs, außer lange auszugehen und mit Freunden zu trinken. Dann gäben sie ihm kein Geld mehr. Aber
     ansonsten habe er keinerlei Schwierigkeiten.

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    |123| 17
    Nach dem Interview mit Chu Tsi kehre ich zur Bootsanlegestelle zurück. Ich möchte unbedingt noch die Männer, die eben in einer
     Reihe auf dem Steg hockten, sprechen.
    Da sind sie. Am selben Platz, in derselben Position. Ich gehe davon aus, dass sie das vorhergehende Interview mit den Bootsführern
     mitbekommen haben und wissen, warum ich auf sie zukomme.
    Mein Versuch, mit ihnen ein Gespräch anzuknüpfen, ist nicht von Erfolg gekrönt. Sie verraten mir gerade einmal ihren Namen
     und die Tätigkeit, der sie nachgehen. Sie dürften alle so um die vierzig sein. Als ich sie zu ihren Ansichten zu Liebe und
     Familie befrage, lachen sie verschämt und bringen nur unvollständige Sätze heraus. Sie sind gehemmt und stoßen einander nervös
     mit den Ellbogen, wie Teenager. Das nächste Mal, wenn ich ihre Meinung hören will, werde ich sie vorher bitten, ihre Mütter
     mitzubringen.
    |124| Einer Frau aus dem Westen dürfte es nicht leichtfallen, unter den Mosuo zu leben. Außer der Last der schweren Arbeit und der
     Verantwortung wäre es schwierig, einen Mann zu finden, in den sie sich verlieben könnte.
    Das ist der Preis, den eine Frau im Matriarchat zahlen muss: Wenn sie jemanden haben will, auf den sie sich

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