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Das Paradies ist weiblich

Titel: Das Paradies ist weiblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricardo Coler
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stützen kann und
     der sie beschützt, sollte sie schleunigst das Weite suchen. Erst recht, wenn sie einen Vater für ihre Kinder sucht.
     
    Die Befragung meiner Geschlechtsgenossen ist bis jetzt nur mäßig erfolgreich. Langsam werde ich unruhig. Bleibt noch das unter
     dem Baum dösende Morpheus-Grüppchen.
    Ohne allzu große Erwartungen geselle ich mich zu ihnen. Ich hole den Fragebogen heraus, den ich zum Vergleich zwischen den
     matriarchalischen Gesellschaften in China und Indien vorbereitet habe. Ich überreiche ihn den Männern, zusammen mit Kugelschreibern,
     damit sie keine Ausrede haben, ihn nicht auszufüllen. An einem Punkt halten sie sich besonders auf. Ich bitte Lei zu dolmetschen.
    »Sie diskutieren über die Frage: ›Was gefällt Ihnen an einer Frau?‹«
    Das interessiert mich, ich schlage vor, dass wir auch gleich darüber sprechen könnten.
    |125| Und dann kommt – wer hätte es gedacht – als Erstes: »Dass sie fleißig ist.«
    Ich glaube, sie tun das mit Absicht. Mir wird es langsam zu viel.
    Einer erzählt mir, er habe eine Weile außerhalb des Dorfes gelebt und das habe ihm regelrecht Angst gemacht. Vorurteilsbeladen,
     wie ich bin, denke ich, wahrscheinlich hat man ihn gezwungen, mal früh aufzustehen. Dennoch erkundige ich mich nach dem Grund
     seines Unbehagens.
    »Ich mag Frauen mit Moral, wie sie die Frauen hier aus dem Dorf haben.«
    Ich bin überrascht, weil die sexuelle Freizügigkeit bei den Mosuo doch weit größer ist als im übrigen Land. Ich hake nach.
    »Können Sie das genauer erklären?«
    »Die jungen Mosuo-Frauen sorgen für ihre Familie, sie verlassen sie nicht.«
    Die Frauen sitzen noch immer vor ihren Weidekörben und nähen und nähen. Sie mustern mich, lächeln, tuscheln. Ich würde zu
     gerne verstehen, was sie sich zuflüstern.
    Sie tragen beide weiße Röcke. Die eine trägt einen dunklen Pullover mit silberfarbenen Biesen dazu. Die andere einen gelben.
     Um den Kopf haben sie rote Tücher gebunden. Die Ältere wendet sich direkt an Lei, er übersetzt.
    |126| »Sie fragen nach dem Tanz aus deinem Land und wollen wissen, wann du ihn vorführst.«
    »Wollen sie auch kommen?«
    »Ja. Sie wissen, dass er paarweise getanzt wird, und sie fragen, ob du schon eine Partnerin hast.«
    Wenn ich an meine wenigen Stunden in der Tanzschule
La Viruta
zurückdenke und mir das Missverhältnis zwischen meinen Tangokünsten und den hohen Erwartungen der Mosuo-Frauen vor Augen halte,
     wird mir ganz mulmig zumute. Ich weiß ja, wie streng man hier mit den Männern ins Gericht geht. Ich habe gute Chancen, zur
     Zielscheibe ihres Spotts zu werden.

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    |127| 18
    Yasi, meine Matriarchin, weckt mich jeden Morgen in demselben Befehlston, mit dem sie auch die Männer an die Arbeit scheucht.
    Davon abgesehen, hat sie mir noch nicht eine Minute ihrer Zeit geschenkt – das würde sie von der Arbeit abhalten. Li Jien
     Ma hingegen, ihre Schwester, die ich nun schon einige Male von meinem Fenster aus dabei beobachten durfte, wie sie sich mit
     ihrer silbernen Bürste frisierte, hat kein Problem damit, mich an diesem Morgen in ihrem Zimmer zu empfangen. An sie als zweitgeborene
     Tochter des Hauses Ma trägt die Familie nicht dieselben Erwartungen heran wie an die ältere Yasi. Li Jien scheint überhaupt
     leichtfüßiger durchs Leben zu gehen.
    Li Jien singt gerne und immerzu: bei der Arbeit, beim Zubereiten des Essens oder wenn sie sich für eine Verabredung zurechtmacht.
     Die Melodien, die sie mit ihrer zarten Stimme anstimmt, klingen fremd für meine Ohren.
    |128| »Die Männer wissen es zu schätzen, wenn eine Frau singen kann«, sagt sie.
    Tatsächlich bleibe auch ich manchmal vor der Tür des Hauses stehen, nur um Li Jien singen zu hören. Spielend wechselt sie
     von einem sanften Liebeslied zu einer wilden Mischung aus schrillen Tönen. Sie ist ein fröhlicher Mensch, oft sehe ich sie
     lachen, und ihr Lachen ist ansteckend.
    Li Jiens Reich ist geräumig. Eines ihrer Fenster geht wie meines zum Innenhof hinaus, durch den man die Frauen eilen sieht,
     während die Männer in aller Ruhe rauchen und auf einen Arbeitsbefehl warten. Dann sind sie sofort zur Stelle, und wenn der
     Auftrag erfüllt ist, kehren sie an ihren Platz zurück. Bis zum nächsten Befehl. Ein absolut reibungslos funktionierendes System.
    Man hat das Gefühl, dass in diesem Dorf zwei Formen von Zeit existieren: die davonfliegende, stets knappe Zeit der Frauen
     und die zähe, im Überfluss vorhandene Zeit der

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