Das Paradies ist weiblich
Schwestern dazu und die Enkel. Männer ohne direkte Blutsverwandtschaft mit der Matriarchin gehören
zu einem anderen Haushalt und schlafen unter einem anderen Dach. In der Familienstruktur der Mosuo sind Ehemänner, Väter oder
Großväter nicht vorgesehen, und tatsächlich ist meist nicht einmal bekannt, von wem man väterlicherseits abstammt.
Mir ist klar, dass ich mich in einem fremden Land befinde und dass ich, wenn ich eine gute Beziehung zu den Einheimischen
aufbauen will, sorgfältig auf die Umgangsformen achten muss. Das Problem allerdings ist, dass ich oft genug keine Ahnung habe,
worin sie bestehen. So exotisch und liberal die Gemeinschaft der Mosuo anmuten mag, bei Verstößen gegen ihre Gepflogenheiten
reagieren sie |38| sehr empfindlich, und sie beobachten genau, wie ein Besucher sich ihnen gegenüber verhält.
Gern bieten sie einem Fremden eine Unterkunft für die Nacht, und gern teilen sie mit ihm ihre Geschichten und Mahlzeiten,
doch ist derjenige, der mit Geschenken anreist, eindeutig willkommener als ein Gast, der nur mit einer Unmenge Fragen und
leeren Händen vor der Tür steht.
So weit war ich schon, als ich meine Reise hierher vorbereitete. Fieberhaft überlegte ich damals, welche Präsente ich mitnehmen
könnte, und dabei wurde mir bewusst, welcher schweren Aufgabe ich mich zu stellen hatte. Immerhin werden in China weltweit
die meisten Billigsouvenirs hergestellt, keine Chance, da mitzuhalten und meine Gastgeber auch noch zu überraschen. Außerdem
sollten die Geschenke im Idealfall etwas über mein Heimatland aussagen, denn schließlich wollte ich ja umgekehrt, dass die
Mosuo mir von ihrem Land erzählten. Am besten wäre natürlich ein Geschenk für jede Gelegenheit, dachte ich. Aber wie sollte
ich das nur platzmäßig bewerkstelligen? Und schleppen musste ich das Zeug schließlich auch.
Plötzlich sagte ich mir: Warum nicht den Tango verschenken? Er ist leicht zu verstauen, typisch argentinisch, und ich kann
ihn so oft präsentieren, wie ich will. Wenn mir die Souvenirs ausgehen, |39| bleibt immer noch die Milonga. Das Vorhaben hatte nur einen Haken: Ich musste erst noch lernen, den Tango zu tanzen.
Rhythmus ist nicht gerade eine meiner Stärken, doch ich vertraute darauf, dass die Bewohner im Südwesten Chinas meine dilettantischen
Tanzversuche für den typischen Stil der Tangueros am Río de la Plata halten würden.
Es war nicht ganz einfach, den Leuten bei uns zu vermitteln, warum ich den Frauenschritt einstudieren wollte, aber wenn ich
den Tango bei den Mosuo vorführen wollte, blieb mir wohl nichts anderes übrig.
Eines Samstagabends überrumpelte mich meine Tanzpartnerin – eine Brünette, die mich überragte und mit der ich die »base« übte
–, als sie fragte: »Warum willst du eigentlich Tango lernen?«
Ich war drauf und dran, sie in meine Pläne einzuweihen, ihr zu erzählen, dass ich eine Reise nach China in ein Matriarchat
plante und gewissermaßen ein Stück unserer Kultur importieren wollte. Und da bekanntlich im Tango der Mann mit festem Griff
führt, erschien es mir sinnvoll, eine Variante zu erlernen, mit der auch eine Matriarchin klarkäme.
Doch dann sagte ich lediglich: »Keine Ahnung, ist doch jetzt in Mode, oder?«
|40| Als ich mit meinem Rucksack durch die niedrige Eingangstür in das Haus von Ma La Tsu trete, muss auch ich erst mal den Kopf
senken. Ma La Tsu bittet mich näherzutreten und bietet mir einen Platz am Feuer an. Auf der Kochstelle über dem Feuer steht
ein dampfender Topf, den ein junges Mädchen im Blick hat, während sie weitere Vorbereitungen für das Essen trifft.
Plötzlich höre ich ein Lied, hohe, spitze Töne, die, wie ich eine Sekunde später begreife, eine Freundin der Hausherrin ankündigen.
Die beiden Frauen umarmen sich, und offenbar erklärt Ma La Tsu, was ich in ihrem Haus zu suchen habe. Ein Weißer im Dorf,
das ist eine Sensation. Ihn zum Essen einzuladen, gehört für sie zum guten Ton. Die Angekommene jedenfalls lächelt und grüßt
mich.
»Kennen Sie sich schon lange?«, frage ich.
»Seit ewigen Zeiten«, antwortet Ma La Tsu. Sie blicken sich an. »Eine Freundin gehört sozusagen zur Familie. Wir sehen uns
jeden Tag, und ich wollte unbedingt, dass sie bei unserem Treffen dabei ist. Schließlich haben wir nicht oft die Ehre, so
weitgereiste Gäste zum Essen zu empfangen.«
Ich bin überrascht, wie liebevoll sie miteinander umgehen. Überhaupt ist mir die innige
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