Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
Alchimist und Handwerker, Händler, Humanist und Gärtner zugleich. Man musste Hammelnierenfett von jungem Rindertalg unterscheiden können und ein Viktoriaveilchen von einem solchen aus Parma. Man musste die lateinische Sprache beherrschen. Man musste wissen, wann der Heliotrop zu ernten ist und wann das Pelargonium blüht und dass die Blüte des Jasmins mit aufgehender Sonne ihren Duft verliert. Von diesen Dingen hatte dieser Pelissier selbstredend keine Ahnung. Wahrscheinlich hatte er Paris noch nie verlassen, in seinem Leben blühenden Jasmin noch nie gesehen. Geschweige denn, dass er einen Schimmer von der gigantischen Schufterei besaß, deren es bedurfte, um aus hunderttausend Jasminblüten einen kleinen Klumpen Concrete oder ein paar Tropfen Essence Absolue herauszuwringen. Wahrscheinlich kannte er nur diese, kannte Jasmin nur als konzentrierte dunkelbraune Flüssigkeit, die in einem kleinen Fläschchen neben vielen anderen Fläschchen, aus denen er seine Modeparfums mixte, im Tresorschrank stand. Nein, eine Figur wie dieser Schnösel Pelissier hätte in den guten alten handwerklichen Zeiten kein Bein auf den Boden gebracht. Dazu fehlte ihm alles: Charakter, Bildung, Genügsamkeit und der Sinn für zünftische Subordination. Seine parfümistischen Erfolge verdankte er einzig und allein einer Entdeckung, die vor nunmehr zweihundert Jahren der geniale Mauritius Frangipani - ein Italiener übrigens! - gemacht hatte und die darin bestand, dass Duftstoffe in Weingeist löslich sind. Indem Frangipani seine Riechpülverchen mit Alkohol vermischte und damit ihren Duft auf eine flüchtige Flüssigkeit übertrug, hatte er den Duft befreit von der Materie, hatte den Duft vergeistigt, den Duft als reinen Duft erfunden, kurz: das Parfum erschaffen. Was für eine Tat! Welch epochale Leistung! Vergleichbar wirklich nur den größten Errungenschaften des Menschengeschlechts wie der Erfindung der Schrift durch die Assyrer, der euklidischen Geometrie, den Ideen des Plato und der Verwandlung von Trauben in Wein durch die Griechen. Eine wahrhaft prometheische Tat! Und doch, wie alle großen Geistestaten nicht nur Licht, sondern auch Schatten werfen und der Menschheit neben Wohltaten auch Verdruss und Elend bereiten, so hatte leider auch die herrliche Entdeckung Frangipanis üble Folgen: Denn nun, da man gelernt hatte, den Geist der Blumen und Kräuter, der Hölzer, Harze und der tierischen Sekrete in Tinkturen festzubannen und auf Fläschchen abzufüllen, entglitt die Kunst des Parfumierens nach und nach den wenigen universalen handwerklichen Könnern und stand Quacksalbern offen, sofern sie nur eine leidlich feine Nase besaßen, wie zum Beispiel diesem Stinktier Pelissier. Ohne sich darum zu bekümmern, wie der wunderbare Inhalt seiner Fläschchen je entstanden war, konnte er einfach seinen olfaktorischen Launen folgen und zusammenmischen, was ihm gerade einfiel oder was das Publikum gerade wünschte.
Bestimmt besaß dieser Bastard Pelissier mit seinen fünfunddreißig Jahren schon jetzt ein größeres Vermögen als er, Baldini, es sich in der dritten Generation durch harte beharrliche Arbeit endlich angehäuft hatte. Und Pelissiers nahm täglich zu, während seins, Baldinis, sich täglich verminderte. So etwas wäre früher doch gar nicht möglich gewesen! Dass ein angesehener Handwerker und eingeführter Commerçant um seine schiere Existenz zu kämpfen hatte, das gab es doch erst seit wenigen Jahrzehnten! Seitdem überall und in allen Bereichen die hektische Neuerungssucht ausgebrochen ist, dieser hemmungslose Tatendrang, diese Experimentierwut, diese Großmannssucht im Handel, im Verkehr und in den Wissenschaften!
Oder der Geschwindigkeitswahnsinn! Wozu brauchte man die vielen neuen Straßen, die überall gebuddelt wurden, und die neuen Brücken? Wozu? War es von Vorteil, wenn man bis Lyon in einer Woche reisen konnte? Wem war daran gelegen? Wem nützte es?
Oder über den Atlantik zu fahren, in einem Monat nach Amerika zu rasen - als wäre man nicht jahrtausendelang sehr gut ohne diesen Kontinent ausgekommen. Was hatte der zivilisierte Mensch im Urwald der Indianer verloren oder bei den Negern? Sogar nach Lappland gingen sie, das lag im Norden, im ewigen Eise, wo Wilde lebten, die rohe Fische fraßen. Und noch einen weiteren Kontinent wollten sie entdecken, der angeblich in der Südsee lag, wo immer das war. Und wozu dieser Wahnsinn? Weil die anderen es auch taten, die Spanier, die verfluchten Engländer, die
Weitere Kostenlose Bücher