Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
vielleicht weil ihm der Inhalt diesmal kostbarer erschien - erst jetzt also, als die Flüssigkeit schon fertig in der Flasche kreiselte, erwachte Baldini aus seinem betäubten Zustand und erhob sich, das Tüchlein freilichimmer noch vor die Nase gepresst, als wolle er sich gegen einen neuerlichen Angriff auf sein Inneres wappnen.
«Es ist fertig, Maitre», sagte Grenouille. «Jetzt ist es ein recht guter Duft.»
«Jaja, schon gut, schon gut», erwiderte Baldini und winkte ab mit seiner freien Hand.
«Wollen Sie nicht eine Probe nehmen?» gurgelte Grenouille weiter, «wollen Sie nicht, Maitre? Keine Probe?»
«Später, bin jetzt nicht aufgelegt zu einer Probe... habe andere Sachen im Kopf. Geh jetzt! Komm!»
Und er nahm einen der Leuchter und ging zur Tür hinaus, hinüber in den Laden. Grenouille folgte ihm. Sie kamen in den schmalen Korridor, der zum Dienstboteneingang führte. Der Alte schlurfte auf die Pforte zu, riss den Riegel zurück und öffnete. Er trat beiseite, um den Jungen hinauszulassen.
«Darf ich nun bei Ihnen arbeiten, Maitre, darf ich?» fragte Grenouille, schon auf der Schwelle stehend, wieder geduckt, wieder lauernden Auges.
«Ich weiß es nicht», sagte Baldini, «ich werde darüber nachdenken. Geh!»
Und dann war Grenouille verschwunden, mit einem Mal weg, weggeschluckt von der Dunkelheit. Baldini stand da und glotzte in die Nacht. In der rechten Hand hielt er den Leuchter, in der linken das Tüchlein, wie einer, der Nasenbluten hat, und hatte doch nur Angst. Rasch riegelte er die Türe zu. Dann nahm er das schützende Tuch vom Gesicht, schob es in die Tasche und ging durch den Laden in die Werkstatt zurück. Der Duft war so himmlisch gut, dass Baldini schlagartig das Wasser in die Augen trat. Er brauchte keine Probe zu nehmen, er stand nur am Werktisch vor der Mischflasche und atmete. Das Parfum war herrlich. Es war im Vergleich zu «Amor und Psyche» wie eine Sinfonie im Vergleich zum einsamen Gekratze einer Geige. Und es war mehr. Baldini schloss die Augen und sah sublimste Erinnerungen in sich wachgerufen. Er sah sich als einen jungen Menschen durch abendliche Gärten von Neapel gehen; er sah sich in den Armen einer Frau mit schwarzen Locken liegen und sah die Silhouette eines Strauchs von Rosen auf dem Fenstersims, über das ein Nachtwind ging; er hörte versprengte Vögel singen und von Ferne die Musik aus einer Hafenschenke; er hörte Flüsterndes ganz dicht am Ohr, er hörte ein Ich lieb dich und spürte, wie sich ihm vor Wonne die Haare sträubten, jetzt! jetzt in diesem Augenblick! Er riss die Augen auf und stöhnte vor Vergnügen. Dieses Parfum war kein Parfum, wie man es bisher kannte. Das war kein Duft, der besser riechen machte, kein Sentbon, kein Toilettenartikel. Das war ein völlig neuartiges Ding, das eine ganze Welt aus sich erschaffen konnte, eine zauberhafte, reiche Welt, und man vergaß mit einem Schlag die Ekelhaftigkeiten um sich her und fühlte sich so reich, so wohl, so frei, so gut...
Die gesträubten Haare an Baldinis Arm legten sich, und eine betörende Seelenruhe ergriff Besitz von ihm. Er nahm das Leder, das Ziegenleder, das am Rand des Tisches lag und nahm ein Messer und schnitt das Leder zu. Dann legte er die Stücke in die Wanne aus Glas und übergoss sie mit dem neuen Parfum. Er stürzte eine Glasplatte auf die Wanne, zog den Rest des Duftes auf zwei Fläschchen, die er mit Etiketts versah, darauf schrieb er den Namen «Nuit Napolitaine». Dann löschte er das Licht und ging.
Oben bei seiner Frau beim Essen sagte er nichts. Vor allem sagte er nichts von dem hochheiligen Entschluss, den er am Nachmittag gefasst hatte. Auch seine Frau sagte nichts, denn sie merkte, dass er heiter war, und damit war sie sehr zufrieden. Er ging auch
nicht mehr hinüber nach Notre-Dame, um Gott zu danken für seine Charakterstärke. Ja, er vergaß an diesem Tag sogar zum ersten Mal, zur Nacht zu beten.
— 16 —
Am nächsten Morgen ging er schnurstracks zu Grimal. Als erster bezahlte er das Ziegenleder, und zwar den vollen Preis, ohne Murren und ohne die geringste Feilscherei. Und dann lud er Grimal zu einer Flasche Weißwein in die Tour d'Argent ein und handelte ihm den Lehrling Grenouille ab. Selbstverständlich verriet er nicht, weshalb er ihn wollte und wozu er ihn brauchte. Er schwindelte etwas daher von einem großen Auftrag in Duftleder, zu dessen Bewältigung er einer ungelernten Hilfskraft bedürfe. Einen genügsamen Burschen brauche er, der ihm einfachste
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