Das Perlenmaedchen
Feldfrüchten zu bestaunen gab – eine geschickte Nutzung von Schlamm und Wasser in einem Gebiet, dessen Anbaufläche beschränkt war. In den umliegenden Dörfern und Bauernhöfen erstanden sie Nahrungsmittel, und als Chac anschließend die Menge zum Gebet aufrief, rumorte die Erde erneut.
Anderntags, nachdem sie gebetet, Weihrauch verbrannt und den Göttern ein wenig von ihrem Essen geopfert hatten, brachen sie wieder auf. Als der See hinter ihnen lag und sie sich den Bergen näherten, sahen sie in den Boden gerammte Holzpfähle, versehen mit Bildzeichen, die vor Gefahr warnten. Für die des Lesens Unkundigen war auf einigen dieser Pfähle ein kegelförmiger Berg abgebildet und neben ihm ein Mann, dem vom Gipfel Felsbrocken auf den Kopf fielen. Das bedeutete, dass ab hier mit Steinschlag zu rechnen war, wann immer der Berg grollte.
Ixchel erkannte, dass dies die Gegend war, die Tonina als Vision gesehen hatte, zumal der Popocatépetl jetzt schwarzen Rauch in den blauen Himmel ausstieß. Sie betrachtete das von verkrüppelten Bäumen durchzogene hügelige Gelände. Schwarze, versteinerte Lavazungen in der Nähe zeugten von früheren Ausbrüchen. Bestimmt war ihr geliebter Cheveyo ganz in der Nähe! Wo aber war die rote Blume, wie der Gürteltierhändler dies behauptet hatte?
Amecameca war noch immer einen Fußmarsch von einem halben Tag entfernt. Da jedoch die Sonne bereits unterging, entschied Chac, mit den erschöpften und verängstigten Pilgern in Tlamanalco haltzumachen, einer Ansammlung von Hütten an einem Flusslauf mit einem nahe gelegenen Wäldchen, wo Eichen und Lorbeerbäume Schutz boten.
Späher berichteten, dass Baláms Armee am Rande eines versteinerten Lavabetts lagerte und somit den Zugang nach Amecameca blockierte.
Chacs »wandernde Stadt« hatte Übung darin, sich schnell und zweckmäßig für die Nacht einzurichten, sodass zwischen Lorbeer und Eichen alsbald Unterstände und Grashütten errichtet, Umhänge über Äste gehängt und hamacs zwischen Bäume gespannt waren. Schon bald loderten Feuer auf, nach kurzer Zeit gefolgt von Essensdüften, und während die Kinder spielten oder die Umgebung erkundeten, wurden Truthähne und Hunde aus ihren Verschlägen gelassen, wurde wie üblich musiziert, gelacht, gezankt.
Für Chac und seine Handvoll Krieger hingegen war der heutige Abend nicht wie jeder andere, denn der morgige Tag würde es auch nicht sein.
In der einfachen Unterkunft hielt er Tonina in den Armen und schickte ein Gebet zur Göttin des Mondes, auf dass sie ihn von der Bürde, die auf ihm lastete, befreie. Gewähre mir noch einen Tag mit meiner geliebten Tonina, noch einen Sonnenaufgang, noch einen Sonnenuntergang mit ihr. Schick Balám und seine Armee fort. Schenke uns Frieden und führe uns zu den heiligen Höhlen von Aztlán.
Er drückte die schlummernde Tonina fester an sich, die, nachdem sie sich stürmisch geliebt hatten, jetzt tief und fest schlief. Wenn er mit ihr doch weit weg sein könnte, oben bei den Sternen, zurück in der Unbeschwertheit ihrer ersten Nächte außerhalb von Mayapán.
Damals hatte er noch nicht gewusst, wie man Feuer macht. Bei der Erinnerung daran lachte er leise auf, um gleich darauf ernst zu werden.
Er küsste Tonina auf die Stirn, schob sie sanft von sich und verließ die Unterkunft. Er musste zu seinen Kriegern. Auf dem Weg dorthin machte er bei Ixchel Halt, die in das Buch der tausend Geheimnisse vertieft war, und bat sie, das Kind wieder zu seiner Mutter zu bringen, es müsse bald gestillt werden. Dann suchte er sich einen abgeschiedenen Platz zwischen den dichten Bäumen, hinter denen sich eine öde Ebene erstreckte. Dort wartete Baláms Armee.
Er kniete an einem kleinen Felsbrocken nieder, presste die Stirn auf den harten kalten Stein und rief erneut die Göttin des Mondes an.
»Strahlende Göttin, hör meine Vergehen an. Ich bekenne mich des Stolzes und des Zorns schuldig. Zweimal habe ich die Götter verflucht und Frevel begangen … «
In einer Unterkunft, die von H’meens Begleitern errichtet worden war, ergebenen Männern, die sie seit Mayapán begleiteten, hielt Einauge die leise weinende H’meen in den Armen. »Geh bitte nicht«, flüsterte sie. Aber er wollte Chac, wenn er Balám gegenübertrat, keinesfalls allein lassen – Balám, der gelogen und betrogen, der in Copán Tonina Gewalt angetan hatte, der um ein Haar ihn, Einauge, umgebracht hätte und der ihm auf so schmerzliche Art die blutigen Spuren von »Jaguarpranken«
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