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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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hatte, vorausgesagt worden war.
    Die Erleuchtung schwand, das Lager zeichnete sich wieder ab, die Schmetterlinge hockten flügelschlagend auf den Ästen der Bäume. An die raue Borke gelehnt, den Baumwollumhang über und über bedeckt mit flatternden goldenen Wesen, kam Tonina wieder zu sich.
    »Chac«, flüsterte sie, als sie sich wieder gefasst hatte. Sie trat in die Unterkunft und schüttelte ihn am Bein. »Chac! Wach auf! Das musst du dir unbedingt anschauen!«
    Er setzte sich auf, rieb sich die Augen, lächelte, als er sie erblickte. »Komm her«, lockte er scherzend.
    »Nein, du kommst zu mir. Das musst du sehen. Über Nacht ist ein Wunder geschehen.«
    Er schlang sich ein Fell um die Hüften und trat aus der Unterkunft, gähnte, blinzelte. Als sein Blick klar wurde, zog er die Brauen hoch, runzelte die Stirn. »Göttin des Mondes!«, rief er aus. »Wo kommen die denn her?«
    »Quetzalcoatl hat sie geschickt«, sprudelte Tonina hervor. Sie konnte weder wissen, dass sie Zeugin des alljährlichen Zuges einer Schmetterlingsart wurde, die eines Tages »Monarch« genannt werden sollte, noch dass diese Abermillionen von Schmetterlingen soeben eine Flugstrecke von dreitausend Meilen hinter sich gebracht hatten und aus dem Norden kamen, aus einer Gegend, die man eines Tages als die Großen Seen bezeichnen würde. »Ich habe Quetzalcoatl gebeten, mir ein Zeichen zu schicken. Und dies hier ist es.«
    Chac schaute sie fragend an. »Was für ein Zeichen?«
    »Ich habe zu ihm gebetet, dass er mir dein tonali enthüllt. Und das ist seine Antwort!«
    Um seine Mundwinkel zuckte es amüsiert. »Mir ist bestimmt, ein Schmetterlingssammler zu werden?«
    Sie drehte ihn so, dass er ihr gegenüberstand und aus ihrem Blick lesen konnte, wie ernst es ihr war, ihm die Tragweite dessen, was sie gerade erlebt hatte, begreiflich zu machen. »Du bist auserwählt, die zersplitterten Stämme und Clans im Tal von Anahuac unter einer Führung zu vereinen.«
    Der amüsierte Ausdruck hielt noch ein wenig an, aber dann wurde er ernst. »Tonina«, seufzte er auf, »aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, siehst du einen Anführer in mir. Und dies seit wir Mayapán verlassen haben. Aber ich versichere dir, dass es diesen Anführer nicht gibt. Und all diese Stämme zu vereinen? Selbst für einen dazu wild entschlossenen Mann wäre das eine unlösbare Aufgabe.«
    Aber sie ließ sich nicht davon abbringen. Quetzalcoatl hatte ihr den Weg aufgezeigt. »Das ist dein tonali «, sagte sie beschwörend. »Die gesamte Hochlandregion ist miteinander verfeindet und führt ständig Krieg. Wenn sich die zahlreichen Stämme nicht vereinen, wird sich das nie ändern. Denk an Mayapán. Genau das braucht unser Volk. Einen festen Mittelpunkt mit Regeln und Gesetzen. Du bist der Anführer, auf den alle gewartet haben.« »Das ist unmöglich«, gab er zurück. »Nicht einmal mit einem starken Anführer.«
    »Dann erkläre mir doch mal, wie ein Schmetterling, dieses Nichts schlechthin, es fertigbringt, den Zweig einer Tanne so zu belasten, dass er schließlich bricht? Schau mal dorthin! Dieser Ast dort ist vor meinen Augen abgebrochen. So etwas bringt ein Schmetterling mit vereinter Hilfe der anderen zustande! Wenn sich viele Schmetterlinge zusammentun, könnten sie sogar einen Berg versetzen. Chac, genau dies versteht man unter der Harmonie, die dem Volk meines Vaters vorschwebte. Nimm die Schmetterlinge. Wie kommt es, dass sie alle zur selben Zeit hier aufgetaucht sind? Sie sprechen nicht, sie haben keine Bücher, sie verständigen sich nicht untereinander, und doch wissen sie, wohin sie gehören und wohin sie alle müssen. Verbunden, Chac, durch die unsichtbaren Fäden der kosmischen Harmonie.«
    Sie ließ den Blick über die orange- und goldfarbenen Wesen schweifen, die sanft mit den Flügeln schlugen und durch ihr Gewicht die Äste der Bäume so belasteten, dass man sie knacken hörte. »Chac, ich weiß, dass die Götter dich hierher geschickt haben, damit du die sieben Stämme von Aztlán vereinst. Es ist kein Zufall, dass es meine Mutter und mich zu den heiligen Höhlen zieht, wo die rote Blume wächst. Du bist Teil dieses göttlichen Plans. Es ist der Willen der Götter, dass du am Texcoco-See für Ordnung sorgst und die Menschen dort unter deiner Führung vereinst.
    Als du mir gestern Abend von Balám erzähltest«, fuhr sie beschwörend fort, »ging es doch nicht nur darum, was du mit ihm erlebt hast, nicht wahr? Und es geht auch nicht

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