Das Pestzeichen
er sein Versprechen halten und man sie verschonen würde.
Markus hatte in der Kirche auf dem Tannenzweiglager der Nacht zuvor gelegen, als ihn die Stiche auf dem Kopf juckten. »Diese verdammten Flöhe!«, fluchte er, setzte sich auf und beschloss missmutig, sich bald eine Glatze scheren zu lassen, um das Ungeziefer loszuwerden. Als er Druck verspürte, war er leise meckernd nach draußen gegangen, um sich an einem Busch nahe der Eingangstür zu erleichtern.
Während er pinkelnd dastand, träumte er davon, schon bald mit einer dickbrüstigen Magd in weichen Daunen zu schlafen. Der Gedanke, dass Jeremias ihn um seinen Anteil betrügen könnte, trübte für einen Augenblick seine Träumerei. Markus schwor sich, Jeremias die Kehle aufzuschlitzen. Die Vorstellung ließ ihn gehässig auflachen.
Susanna starrte zu Markus, der mit dem Rücken zu ihr nahe dem Kircheneingang stand. Als sie sah, wie die unheimlichen Gestalten ihn einkreisten, stockte ihr der Atem. Dann schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass das Auftauchen der Gestalten allein Markus galt. Der Bursche schien die Fremden nicht zu bemerken, die sich in seiner Nähe hinter Bäumen und Büschen versteckten und abzuwarten schienen. Susanna zählte sechs Männer, die ebenso schnell, wie sie aufgetaucht waren, wieder mit der Nacht verschmolzen und unsichtbar wurden.
Soweit es der Knebel zuließ, atmete Susanna mehrmals tief ein und aus, bis sie spürte, wie sie innerlich ruhig wurde. Aufregung und Angst verschwanden. Ich habe nichts zu befürchten, denn sie wollen ihn , dachte sie erleichtert. Was die Männer mit Markus vorhatten, daran wollte sie nicht denken, und es war ihr im Grunde einerlei. Markus war der Mörder ihrer Familie, der vor nichts zurückschreckte und auch sie töten würde, sobald er im Besitz der magischen Schriften wäre. Susanna lehnte sich gegen den Stamm des Baums und beschloss, sich nicht mehr zu regen.
Markus versuchte seine Hose mit der Kordel zu schließen, wobei sein Blick zu der Stelle schweifte, wo Susanna an den Baum gefesselt dalag. »Zu schade, dass ich sie nicht anrühren darf«, murrte er leise und ging zurück in die Kirche. Dort legte er sich auf sein grünes Lager und schloss die Augen.
Er war kaum eingenickt, als er aufschreckte, weil ihm grobe Hände den Mund zuhielten. Markus riss die Augen weit auf und blickte in ein fremdes Gesicht. Im Dunkel der Kirche konnte er Gestalten erkennen, die aus dem Hintergrund hervortraten und grimmig auf ihn herabschauten. Als er sich aufsetzen wollte, sprangen die Männer herbei und drückten seine Arme, Beine und Schultern nieder. Markus versuchte sich zu wehren, doch die Fremden waren stärker. Der Mann, der ihm den Mund zuhielt, fauchte ihn an: »Du hast meinen kleinen Bruder getötet.«
Markus wusste sofort, wen er meinte, und schlug mit dem Kopf hin und her, um den Mund freizubekommen. »Er ist mir ins Messer gelaufen. Ich konnte nichts dafür!«, verteidigte er sich.
»Unser Oheim sagte, dass du brutal zugestochen hast!«, rief ein anderer, der ein Bein von Markus festhielt.
»Das stimmt nicht! Es war keine böse Absicht. Außerdem war die Wunde nicht tief!«, kreischte Markus.
»Johannes ist auf dem Weg in die Stadt verblutet«, sagte einer zornig, der sich im Hintergrund verborgen hielt.
»Mein Vater erzählte, dass du auch das Mädchen bedroht und verletzt hast. Das zeigt, dass du ein schlimmer Übeltäter bist.«
»Verdammte Missgeburten, lasst mich in Ruhe! Das Mädchen ist eine Pferdediebin und hat keine Gnade verdient.«
»So wie du keine Gnade verdient hast. Unser kleiner Bruder ist tot«, brüllte einer der Männer. Und dann sah Markus ein Messer in dessen Hand aufblitzen.
»Es ist nicht meine Schuld!«
»Auge um Auge, Zahn um Zahn«, fällte der Fremde das Todesurteil und stach zu.
Susanna hatte ruhig am Baumstamm gelehnt, bis die unheimlichen Gestalten in die Kirche stürmten. Dann aber schnellte ihr Oberkörper so weit nach vorn, wie die Fesseln es zuließen. Angestrengt lauschte sie und glaubte laute Stimmen zu hören, dann wurde es wieder ruhig. Plötzlich zerriss ein furchtbarer Schrei die Stille, der ihr durch Mark und Bein fuhr. Sie wusste, dass es Markus war, der geschrien hatte. Sie befürchtete Schlimmes, als ein weiterer Schrei zu hören war. Kurz darauf sah sie, wie die Fremden aus der Kirche herausrannten. Als ein Mann auf sie zulief, konnte sie im Licht des Mondes das Messer in seiner Hand erkennen. Sie schloss die Augen und betete. Als sie
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