Das Pestzeichen
Wahrscheinlich wissen sie noch nicht, dass sie einander mögen , dachte Bendicht schmunzelnd und sagte deshalb: »Da ich kein Verlangen habe, erneut im Dunklen zu reiten, haben wir genügend Zeit, dich zur Kirche zu begleiten. Es reicht, wenn wir uns morgen früh auf den Weg nach Trier machen.«
Susanna und Urs blickten ihn freudestrahlend an. Und Bendicht konnte erkennen, wie beide erröteten.
Urs ritt auf dem Salinenpferd, das Markus gehört hatte, hinter den beiden Schlachtrössern her. Er war froh, dass weder Susanna noch sein Oheim ihm ins Gesicht blicken konnten, denn ihm war die Freude anzusehen, dass die Trennung von Susanna aufgeschoben war. Als sein Oheim vorschlug, Susanna zur Kirche zu begleiten, hätte er vor Glück jubeln können. Der Gedanke, sie verlassen zu müssen, hatte ihm einen Stich versetzt. Nun waren sie fast einen Tag länger zusammen. Das war ein Tag länger Zeit, um zu überlegen, wie er Susanna nach Trier locken konnte.
Susanna hätte ewig weiterreiten mögen, und auch ihr stand die Freude ins Gesicht geschrieben. Zu wissen, dass Urs frei und nahe bei ihr war, machte sie glücklich. Nun muss er mich nur noch fragen, ob ich mit ihm nach Trier reiten möchte , dachte sie und spürte, wie bei diesem Gedanken ihre Wangen heiß wurden.
Kaum waren sie auf den Pfad zur Kirche eingebogen, herrschte gespenstische Stille. Unruhig blickte sich Susanna um, als sie die ersten toten Ratten sah. »Schaut«, rief sie aus und schüttelte sich. Mit zittrigem Finger wies sie auf die verendeten Tiere.
»Ich habe sie bereits gesehen. Dass es so viele tote Ratten sind, gefällt mir gar nicht«, erwiderte Bendicht.
Je näher sie der Aschbacher Kirche kamen, desto mehr Tierleichen lagen auf dem Pfad. In der Luft hing ein süßlicher Geruch von Verwesung, der stärker wurde, je näher sie der Kirche kamen. Bendicht hielt sein Pferd an und sagte mit sorgenvoller Miene: »Ihr beide bleibt hier, während ich mich umschaue.«
Susanna hielt sich die Hand vor Nase und Mund und blickte ängstlich zum Eingang der Kirche. Sie sah Urs und Bendicht an und wisperte: »Markus muss noch da drinnen liegen.«
»Markus ist tot und kann uns nichts mehr anhaben. Mich sorgt Jeremias«, sagte Urs und beobachtete aufmerksam die Umgebung. Als er vom Pferd steigen wollte, raunzte Bendicht: »Bleib sitzen. Auch du, Susanna, bleib sitzen!«
Bendicht kramte in seinem Beutel und entnahm ihm ein kleines Fläschchen, aus dem er einen Tropfen auf den Finger fließen ließ, den er sich unter die Nase tupfte. »Lavendelöl«, erklärte er und gab Susanna und Urs einige Tropfen ab. »Der Lavendelduft mindert den Gestank«, erklärte er und beträufelte ein kleines Tuch, das er sich vor Mund und Nase presste.
»Ihr folgt mir auf keinen Fall«, befahl er mit gedämpfter Stimme und betrat die Kirche.
Bendicht war nur kurz im Innern verschwunden. Als er wieder herauseilte, fragte er keuchend: »Hat Jeremias lange schwarze Haare?« und blickte Susanna an, die nickte. »Er ist tot«, schnaufte Bendicht heftig.
Susanna und Urs blickten zwischen Kirche und Oheim hin und her. Schließlich fragte Urs: »Ist er ermordet worden? Als er zu mir in den Keller kam, machte er einen gesunden Eindruck.«
»Er ist bei dir gewesen?«, schrie Bendicht auf, und Urs bejahte erschrocken. »Hat er dich berührt?«
Urs schüttelte den Kopf. »Nein, er hat mir Angst gemacht, deshalb hielt ich mich von ihm fern.«
»Das ist dein Glück, mein Junge«, atmete Bendicht auf.
Urs blickte ihn fragend an.
»Jeremias ist an der Pest gestorben«, erklärte der Oheim.
»An der Pest?«, flüsterte Susanna entsetzt.
Bendicht nickte.
»Hat er dich angefasst?«, fragte er das Mädchen.
»Warum?«, fragte sie ängstlich.
»Weil ich sicher bin, dass die Pest durch Berührung übertragen wird.«
Susanna wurde leichenblass und fuhr sich vor Schreck mit der Hand an den Hals. »Jeremias hat mich festgehalten, als ich fliehen wollte«, flüsterte sie mit trockenem Mund.
»Wie lang ist das her?«, fragte Bendicht besorgt.
»Drei Tage«, antwortete sie mit kratziger Stimme und schaute ihn mit Schrecken in den Augen an.
Urs blickte entsetzt und zugleich angsterfüllt von seinem Oheim zu Susanna. »Was willst du damit andeuten?«, fragte er verstört.
Bendicht wusste nicht, was er den beiden jungen Menschen antworten sollte, denen die Furcht ins Gesicht geschrieben stand. Susannas Lage war ernst – sehr ernst sogar, und er wusste nicht, wie er sie abmildern konnte.
»Hat
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