Das Pestzeichen
Jeremias einen Pestkranken berührt?«, fragte Urs.
Bendicht nickte. »Ja, so muss es gewesen sein.«
»Markus?«
Bendicht schüttelte den Kopf. »Markus wurde erstochen. Ich konnte keine Anzeichen der Krankheit an seiner Leiche erkennen. Jeremias muss sich erst vor wenigen Tagen verseucht haben, denn die Gelehrten haben beobachtet, dass von der Ansteckung bis zum Tod nur drei bis sieben Tage verstreichen.«
Susanna schrie leise auf und starrte auf die gebräunte Haut ihrer Arme. Hastig untersuchte sie sich nach Anzeichen der Seuche.
»Wir müssen noch mindestens vier Tage abwarten, besser einige mehr«, erklärte Bendicht mitfühlend. »Doch sorge dich nicht, Susanna! Du bist jung, und dein Körper ist nicht ausgezehrt. Er wird die Kraft haben, gegen die Krankheit zu kämpfen«, versuchte er sie zu trösten.
Susanna nickte mit Tränen in den Augen und flüsterte: »Die Seuche muss von Thomas gekommen sein. Als Markus mich an den Gräbern gefangen nahm, hat Jeremias Thomas angefaucht, er solle ihn nicht mit seinen Pestfingern berühren. Der Bruder von Thomas ist an der Pest gestorben und liegt hinter der Kirche beerdigt.«
»Das ist die Erklärung«, stellte Bendicht nüchtern fest.
»Und die toten Ratten? Haben sie sich an Jeremias’ Leiche angesteckt?«, fragte Urs seinen Oheim.
»Das weiß ich nicht«, gab Bendicht zu.
»Jede verendete Ratte ist eine weniger, und das ist gut so – einerlei aus welchem Grund«, schnaubte Susanna mit Blick auf die toten Tiere.
»Muss Thomas auch an der Pest sterben?«, wollte Urs wissen.
»Ich will hoffen, dass auch sein Körper stark genug ist, die Seuche abzuwehren«, erklärte Bendicht und fügte mit ernster Miene hinzu: »Wir müssen die beiden Toten beerdigen.«
Susanna hob abwehrend die Hände. »Ich fasse die Toten nicht an!«, sagte sie mit schriller Stimme. Sie zitterte, als ob eisige Kälte herrschte, und umschlang mit beiden Armen ihren Oberkörper.
Besorgt blickte Bendicht zu Urs, da er befürchtete, dass dieser das Mädchen in den Arm nehmen wollte, um sie zu trösten. Doch Urs stand wie versteinert da.
»Ich werde sie als Einziger berühren, denn ich weiß, wie ich vorzugehen habe«, flüsterte Bendicht. »Urs, du suchst eine Schaufel. Du, Susanna, suchst alle Kräuter zusammen, die du finden kannst.«
Urs fand eine Schaufel hinter der Kirche und hob ein breites Grab aus. Die Kräuter, die Susanna im Wald gesammelt hatte, verbrannte Bendicht in der Kirche, sodass das Gebäude ausgeräuchert wurde und der Verwesungsgestank verging. Bendicht rieb sich Hände und Gesicht dick mit Ringelblumensalbe ein, die er in einem Tiegel im Rucksack mitgebracht hatte.
»Ein Heiler geht nie ohne Essenzen und Salben aus dem Haus«, erklärte er, während er sich einfettete.
»Wozu soll das gut sein?«, fragte Urs, der sich ebenfalls Gesicht und Hände einreiben musste.
»Damit die Pest sich nicht an uns festhalten kann«, erklärte der Oheim.
Bendicht zog Markus an den Hosenbeinen aus der Kirche bis zum Grab, wo er ihn hineinfallen ließ, und sofort schaufelte Urs Erde über den Toten. Auf die gleiche Weise brachte Bendicht Jeremias zu seiner letzten Ruhestätte. Als er ihn in das Loch fallen ließ, erblickte Urs das Heftchen, das aus Jeremias’ Hosentasche hervorlugte.
»Die magischen Schriften«, rief Urs und wollte danach greifen.
»Bist du von Sinnen?«, brüllte der Oheim. »Sie sind jetzt für immer verloren«, erklärte er und riss ihm die Schaufel aus der Hand, um das Grab zu schließen.
In einem Teich unweit der Aschbacher Kirche badeten Bendicht, Urs und auch Susanna nach der Bestattung der Toten. Sie wuschen sich mit Kräutern und rieben sich die Leiber mit wohlriechenden Salben ein, die Bendicht mitgebracht hatte. Susanna rubbelte gerade ihr Haar trocken, als Urs auf sie zutrat und ihr gestand: »Wir haben bei Jeremias die magischen Schriften gefunden und mit ihm begraben.«
»Das war richtig«, sagte Susanna leise.
»Nun ist auch die Karte überflüssig geworden«, erklärte Urs und zog das Schriftstück aus seinem Beutel.
»Du hast die Karte noch? Jeremias hat sie nicht gefunden?«, rief Susanna erstaunt.
Urs lächelte verschmitzt. »Meine Mutter hatte uns für die lange Reise in jeden Beutel doppelte Böden eingenäht, unter denen wir wertvolle Dinge verstecken konnten. Ich hatte vergessen, dass die Karte in dem Beutel lag«, gab er kleinlaut zu.
Susanna seufzte leise. »Ohne die magischen Schriften ist sie tatsächlich nutzlos.« Sie
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